Maurice E. Müller und die Entwicklung künstlicher Hüftgelenke in der Schweiz
doi.org/10.36950/edv-mem-2023.5
Niklaus Ingold

Der Tüftler der Inselärzte

Interview mit Jürg Küffer

Bern, 14.10.2021

Anwesend: Jürg Küffer, Niklaus Ingold (Interview und Transkript)

Ingold: Sie bewarben sich 1967 auf ein Inserat, mit dem Herbert Fleisch und Maurice Müller einen Mechaniker suchten. Was hatten Sie vor 1967 gemacht?1

Küffer: Ich hatte Feinmechaniker in der Stoppani AG gelernt. Dieser Beruf gefiel mir sehr. Ich bin jemand, der auch mit den Händen arbeiten muss. Ich muss schöpferisch tätig sein können, nicht nur an einer Maschine ein Stück nach dem anderen machen.

Ingold: Was haben Sie für einen Jahrgang?

Küffer: 45, 1945. Wir haben sehr früh geheiratet, mit 20 Jahren. Ich habe nach der Lehre in einem Zylinderschleifwerk gearbeitet, wo ich im Akkord für 900 Franken monatlich Kurbelwellen schliff. Ich habe eine Kurbelwelle nach der anderen geschliffen. Damals ging es darum, Geld zu verdienen. Es kam alles irgendwie anders. Die Arbeit machte mich nicht glücklich. Ich tüftelte immer wieder etwas zu Hause. Ich wechselte dann in die Firma Sifrag, wo ich als Mechaniker angestellt wurde. Wir waren vier Mechaniker, das Mechanische war meine Stärke. Die Firmenleitung von Sifrag bot mir schon nach einem halben Jahr die Leitung der Werkstatt an. Zur gleichen Zeit sahen wir das Inserat in der Zeitung. Ich bewarb mich, wie gewünscht schriftlich, um diese Stelle. Ich konnte nicht gut verbunden schreiben, ich schreibe immer alles in Blockschrift. Deshalb hat meine Frau die Bewerbung mit ihrer schönen Schrift geschrieben. Ich konnte mich bei Herrn Madl vorstellen. Ich bekam die Zusage und begann am 7. September 1967 mit dem Einrichten der Werkstatt. Da bestand noch gar nichts. Der Vertrag war nicht mit der Protek AG.

Ingold: «Dienstvertrag zwischen dem Pathophysiologischen Institut der Universität Bern und der Dokumentationszentrale der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese, Bern, einerseits und Herrn Jürg Küffer, geboren 1945, Mechaniker, andererseits».2

Küffer: Die Protek AG war kurz vorher gegründet worden. Das haben Sie in dem Brief gesehen, den ich Ihnen gegeben habe.3 Professor Müller war für mich Protek und AO und so weiter. Ich habe auch verschiedene Sachen in seinem Auftrag für die AO gemacht. Wenn es gut war, hat die AO das übernommen. Einfach alles für MEM, der war überall tätig.

Ingold: Sie haben erwähnt, dass Sie eine Werkstatt einrichten durften. Das war im alten Lindenhofspital ...

Küffer: Ja, im alten Lindenhofspital ...

Ingold: ... am damaligen Hügelweg.

Küffer: Ja, im ehemaligen Operationssaal im obersten Stock mit grossen gebogenen Scheiben mit viel Licht.

Ingold: Ich stelle mir einen leeren Raum vor und Sie sind nun derjenige, der sagen darf, was in den Raum hineinkommt. Was für Werkzeuge und Maschinen wollten Sie?

Küffer: Das war eines meiner Hauptprobleme: Was brauche ich überhaupt? Ich kannte das Gebiet viel zu wenig, also eigentlich gar nicht. Ich konnte mit Herrn Klebel, dem Mechaniker des Instituts in Davos4, sprechen. Mit diesem Institut arbeitete man bei den Kursen zusammen.

Ingold: Den AO-Kursen?

Küffer: Den AO-Kursen. Herr Klebel sagte mir, was er so gebraucht habe. Beim Modellbau ist es immer sehr schwierig, vorauszusehen, mit welchen Materialien man arbeitet. Ich verstand von den Materialien in der Medizinbranche wenig. Ich wusste nicht genau, was für Metalllegierungen man haben musste. Ich habe einfach das Material genommen, das da war. Am Anfang kam es vor, dass ich ein altes Spitalbett verschnitt, um Metall zu haben. Ich habe einfach mit den vorhandenen Materialien etwas gemacht. Ich zeigte es Professor Müller und dann sagte er, wie und wann. Er hätte sich nie über die Materialien geärgert, auch nicht, wenn ich mit Plastilin zu ihm ging oder mit weichem Aluminium, das man biegen und formen kann. So ist eigentlich alles entstanden. Er wusste, was er wollte, und ich konnte es machen. Ich war die mechanische Hand seiner Ideen und Wünsche.

Ingold: Um die Prototypen zu machen, brauchten Sie eine Drehbank ...

Küffer: Eine Drehbank, eine Fräsmaschine, Säge und so weiter. Ich hatte natürlich eine richtig gut eingerichtete Werkstatt. Nicht nur Professor Müller gab Aufträge, sondern auch das Pathophysiologische Institut, das von Davos nach Bern zügelte und auch im alten Lindenhofspital einquartiert war.5 Sie kamen mit einer Maschine, einem Lyophilisator, einem Gefriertrockner, der in Davos explodiert war. Den konnte niemand mehr reparieren, sie hätten alles probiert, den stellten sie mir hin. Ich hatte das Glück, dass ich einen guten Kollegen hatte, der in der Kältetechnik arbeitete. Ich hatte vorher bei Sifrag auch mit Ventilen zu tun gehabt, dort haben wir Ventile zu Stickstofflöschanlagen gemacht. Wir konnten den Gefriertrockner reparieren, das war ein guter Erfolg. Ich bekam vom Institut, von der Protek und von Professor Müller Aufträge.

Das alte Lindenhofspital wurde abgerissen, die Protek AG und das Pathophysiologische Institut zügelten an die Murtenstrasse 35 in Bern. Dort stellte das Institut selbst einen Mechaniker an und richtete eine Werkstatt ein. So war ich nur noch für Professor Müller tätig. Er hat das Labor für Biomechanik mit einem neuen Chef, Herrn Niederer, ins Leben gerufen. Der Vertrag, den Sie hier sehen, ist einfach der Urvertrag. Meine Anstellung hat sich in den Jahren immer wieder geändert, aber immer bei Professor Müller. Ich war im Institut, bei Protek, im Labor für Biomechanik, bei der Müller-Stiftung. Es war immer ein bisschen ein Durcheinander, wohin ich gehöre. Schliesslich machte man die MEM-Werkstatt, in der wir jetzt sitzen, auf. Voilà, gehen wir weiter.6

Ingold: Gehen wir weiter – oder vielleicht besser nochmals zurück in die späten 1960er-Jahre. Erinnern Sie sich an die ersten Aufträge für Maurice Müller?

Küffer: Ja, ich habe kürzlich ein Bulletin von Professor Müller und Doktor Boitzy gefunden, das im Jahr 1968 herauskam. Über die Totalprothese der Hüfte aus Protasul.7 Da war ich noch nicht lange angestellt, hatte aber schon die Möglichkeit, bei zwei Instrumenten mit Prototypen mitzuhelfen. MEM beschrieb im Bulletin die Operationstechnik und die damaligen Hüftprothesen.

Ingold: Was waren das für Instrumente?

Küffer: Das erste war ein sogenannter Zapfenzieher. Mit dem hat man den abgesägten Femurkopf mithilfe eines Luxationshebels entfernt. Das zweite war der Acetabulumfräser. Das war etwas, in das ich schon sehr früh involviert war. Am ersten Prototyp war ein bisschen Spitalbett daran. Zu den ersten Aufgaben gehörten auch Hebel und so weiter. Es ging damals vor allem um die Instrumente. Von der Prothetik selbst verstand ich noch nicht viel. Ich musste das zuerst einmal sehen. Ich schaute auch in Anatomiebüchern nach. Die Anatomie hat mich immer sehr interessiert, allerdings aus einem anderen Grund: wegen der Meridiane und Faszien, die durch den Körper ziehen.

Abb. 1. Neue Operationen bedürfen neuer Werkzeuge. Oben links: Manipulierprothesen mit Kunststoffköpfen neben einer Schablone zur Operationsplanung auf dem Röntgenbild und einem Luxationshebel zum Aushängen des Hüftkopfs sowie einer Raspel zum Anpassen des Oberschenkelknochens (rechts aussen), dann, in der Bildmitte, ein Gerät zum Ausfräsen des Knorpels in der Hüftpfanne, darunter der Zapfenzieher zur Entfernung des Hüftkopfs und ein «Einschläger» für den Prothesenkopf. Darunter: drei Polyäthylenpfannen und zwei Stössel mit Aufsätzen zur Platzierung der Kunstpfanne im Zement. Foto: R. Zimmermann, Medizinsammlung Inselspital Bern, Inventar-Nr. 15519

Ingold: Gingen Sie zu dieser Zeit auch in den Operationssaal und schauten Maurice Müller bei Operationen zu?

Küffer: Seltener. Im Inselspital selten. Ich wurde gerufen, wenn sie irgendein mechanisches Problem hatten. Die Ärzte in der Orthopädie und in der Chirurgie kannten mich. Einmal war ein abgebrochener Prothesenschaft zu entfernen. Sie haben es mit Meisseln und Bohren versucht, aber ohne Erfolg. Ich ging mit meiner Bohrmaschine – man hat sie wegen der Sterilität gut mit sterilen Tüchern und Plastik eingepackt, sodass ich sie noch bedienen konnte. Ich habe ein Loch in den abgebrochenen Prothesenteil gebohrt und konnte ihn mit einem Schraubenentferner, den ich mitgenommen hatte, herausziehen.

Ingold: War das das erste Mal, dass Sie mit einer Hüftgelenkprothese zu tun hatten? War die erste Prothese, die Sie in der Hand hatten, eine gebrochene?

Küffer: Nein, ich habe sehr viele Prothesen bei Professor Müller gesehen. Er hatte eine Sammlung der verschiedenen Modelle. Die Protek AG hatte den Verkauf und das Lager der Prothesen, dort hatte ich auch mit der Verpackung und so weiter zu tun. Ich war eigentlich der Gib-halte-zünd von Professor Müller. Wenn er irgendetwas hatte, rief er mich, was es auch war, helfen konnte ich viel.

Ingold: Sie haben mir die Karte gezeigt, auf der Ihnen Maurice Müller dafür dankt, seine Gedanken in Taten umzusetzen. Könnten Sie schildern, wie die Umsetzung von Gedanken in die Tat war, wie man sich diesen Vorgang vorzustellen hat?

Küffer: Ja. Professor Müller war ein Zauberer mit Ringen, mit Karten und so weiter, so auch mit den Instrumenten beim Operieren. Er hatte eine Handfertigkeit, etwas Wahnsinniges. Ich weiss noch, mir fiel einmal etwas, das ich ihm gezeigt hatte, auf den Boden. Er schaute mich an und fragte: «Weshalb haben Sie es überhaupt in die Hand genommen, wenn Sie es ja fallen lassen?» Wenn man ihm auf die Hände schaute, wie er die Instrumente jonglierte und wie viele er während des Operierens in den Händen hielt, dann hat man manchmal eine Unregelmässigkeit gesehen oder etwas, das nicht lief. Ein Instrument zum Beispiel das kopf- oder grifflastig war, wo die Balance nicht gestimmt hat. Ein Instrument muss dem Operateur in den Händen liegen. Wie ich schon gesagt habe, ich war seine Mechanikerhand. Wenn man etwas ändern oder neu machen soll nach einer Idee oder einem Gedanken, dann braucht es ein Modell, einen Prototyp. Erst dann konnte man über Form, Winkel, Millimeter und so weiter sprechen.

Ingold: Sie schauten Maurice Müller auf die Hände und sahen: «Oh, da läuft etwas nicht rund.»

Küffer: Ja. Oder man konnte ein Instrument nicht richtig einsetzen oder es kamen Weichteile in den Weg oder so irgendetwas. Er hat dann manchmal nur herumgeschaut, nichts gesagt.

Ingold: Er sagte nicht: «Herr Küffer, schauen Sie mal»?

Küffer: Nein, während der Operation redete man nicht. Das war verpönt zu diskutieren im OP, nur schon von der Sterilität her. Wenn er mir dann nach der Operation gesagt hat: «Haben Sie gesehen, das war nicht so gut», dann machte ich etwas, nahm etwas Aluminium und bog es so, wie das vorhandene Instrument war, und formte das Instrument noch so, wie man es machen könnte. Er nahm es in die Hände und hat noch etwas nachgebogen und gesagt: «Ja, und hier noch etwas länger.» So entstanden neue Instrumente oder Änderungen.

Ingold: Dann hat man die Prototypen getestet?

Abb. 2. Weiteres Operationswerkzeug: Meissel zur Vorbereitung der Knochen und Knochenhebel zum Freihalten des Operationsareals, ferner eine Curette zum Ausschaben von Gewebe (ganz rechts) sowie die Oszillationssäge (unten links) mit Pressluftantrieb zur Durchtrennung des Schenkelhalses. Foto: R. Zimmermann, Medizinsammlung Inselspital Bern, Inventar-Nr. 15519

Küffer: Ja, die hatte man getestet, indem man sie an verschiedenen Operationen bei verschiedenen Patienten – grosse, kleine, dicke, dünne – gebraucht hat. Man wollte ja nur ein Instrument für alle. Gerade wenn ich von Hebeln rede, von Wundhaken, dann hat man einen bestehenden abgeändert. Ich habe die Hebel einfach erwärmt mit der Flamme, gebogen und ausprobiert, zweimal ausprobiert, dreimal ausprobiert. Dann wurde das an der Technischen Kommission besprochen, angenommen, von den Fabrikanten serienreif konstruiert und hergestellt.

Ingold: Getestet hat er sie gleich an Patientinnen und Patienten oder zuerst an Knochen?

Küffer: Je nachdem. Einen Hebel oder relativ einfache Instrumente, die für den Patienten nicht gefährlich waren, die hat man bei Patienten ausprobiert. Damals gab es noch den Schnellsterilisator, wo man Prototypen sterilisieren konnte. Ich habe sie nach dem Gebrauch auch immer selbst gewaschen und geschaut, ob es da nicht gefangene Stellen, die man nicht gut reinigen konnte, gab. Dann hat man die zwei-, dreimal ausprobiert, danach wurden sie als Prototypen den Fabrikanten gegeben oder kamen einfach in den Abfall oder sie liegen jetzt hier in meiner Werkstatt herum. Ich weiss noch, wie Robert Mathys junior mir gesagt hat: «Also, was du jetzt aus dem OP herausgenommen und uns zum Produzieren gegeben hast, das sieht ja aus – eine Katastrophe.» Das war ein Instrument, das ich zusammengeklebt und gelötet oder gestaucht hatte. Das war natürlich nicht für den Verkauf, es war ein Prototyp.

Ingold: Bei der Prothese war es anders. Dort hat man zuerst an Knochen probiert. Also ausserhalb des Patienten nochmals Tests gemacht und erst danach konnte man sie einsetzen.

Küffer: Ja. Prothesen entstanden meistens mit der Firma Sulzer oder der Firma Mathys.

Ingold: Könnte man sagen, dass Ihre Arbeit die Voraussetzung dafür war, dass Maurice Müller zu den Fabrikanten gehen und Angaben über die Dimensionen, also über die Grösse und die Form, neuer Instrumente oder Prothesen machen konnte?

Küffer: Ja. Professor Müller hatte schon ein Auge für Millimeter. Wenn er gesagt hat, etwas sei dicker als das andere, dann waren es vielleicht nur sechs, sieben Zehntelmillimeter. Wenn man dann nachgemessen hat, war es wirklich so. Er spürte das. Wenn es um die Fabrikation ging und die Fabrikanten Zeichnungen erstellen mussten – «Ja, was für einen Winkel und was für Dimensionen, wie viel? Ja, wie viel, Herr Professor?» –, dann war er froh über meine Modelle. Sie waren ein guter Zwischenschritt, das behaupte ich heute noch. Es brauchte mich dazwischen. Später, im Labor für Biomechanik, bekam ich einen neuen Chef. Er verbot Professor Müller den direkten Zugang zu mir. Alle Aufträge mussten zuerst mit ihm besprochen werden. Auf meine Reklamation hin meinte Professor Müller: «Ja wissen Sie, das ist wie im Militär: von oben nach unten.» Später, als der Chef von Professor Müller bei einer Besprechung eine Zeichnung bekommen hatte, kam er zu mir und hat gesagt: «Herr Küffer, machen Sie das.» Wenn ich dann gefragt habe: «Was ist es denn?», antwortete er: «Ja, ich habe keine Ahnung, aber Sie sollten das doch wissen.» Eben. Ich verstand Professor Müller, ich wusste, was er wollte. Ich hatte es sehr, sehr einfach. Ich musste nur das machen, was er wollte, sonst nichts. Das war super.

Ingold: Den Fabrikanten, also Sulzer und Mathys, mussten Sie die Modelle nicht erklären gehen? Sie hatten keinen Kontakt zu den Fabrikanten?

Abb. 3. Jürg Küffer, Maurice E. Müller und Marcel Madl, Geschäftsführer der Protek AG, 1968 bei Aufnahmen für Schulungsunterlagen. Quelle: Privatarchiv J. Küffer

Küffer: Doch, ich hatte guten Kontakt zu ihnen. Bei den technischen Kommissionen sah ich die Herren immer. Ich habe die Produzenten gut gekannt. Ich habe auch Otto Frey gut gekannt. Otto Frey hat mich giessen gelehrt. Es hat mich sehr interessiert. Ich konnte mit ihm bei Sulzer die Formen für Fünffrankenstücke herstellen und aus speziellem Gips giessen. Bei der Firma Mathys hatte ich guten Zugang zu Robert Mathys und zur Konstruktion. Ich konnte Material und Halbfabrikate beziehen, was die Modellherstellung sehr vereinfacht hat. Als die zementfreie Pfanne nach Professor Müller entstand, habe ich sie mit einer speziellen Polyester-Wasser-Mischung gegossen, die man sehr gut von Hand mit dem Messer bearbeiten konnte. Ich machte also Modelle für Professor Müller, bei denen er zu Hause die Verankerungslöcher korrigiert hat. Am nächsten Tag oder zwei Tage später rief er mich und sagte: «Schauen Sie, so.» Danach machte ich die Pfanne aus Messing. Diese Messingpfannen wurden an Modellbecken eingesetzt, geprüft und danach der Firma Sulzer gegeben. Die waren eigentlich fixfertig, die kann ich Ihnen nur mit Bildern zeigen. Die ersten Modelle, an denen er herumgeschnitzt hatte, die habe ich noch. Die sind in der Ausstellung. Aber die, die an Sulzer gingen, die Messingmodelle, die haben wir nur noch als Dia. Ich habe ganz viele Dias, weil Lotti Schwendener, die immer dabei war, Fotos gemacht hat. Das war sehr wichtig, im Nachhinein finde ich es wunderbar.

Ingold: Wenn Sie Instrumente und Prothesenbestandteile mitentwickelt haben, durften Sie auch Patente anmelden? Oder liefen die Patente über Maurice Müller und die Fabrikanten?

Küffer: Was ich schon früh machen konnte, war eine Spritze zum Einbringen von Knochenzement. Es ging um Zementiertechnik. Damals rührte man den Zement in einer Schale an und drückte ihn dann mit dem Finger in die vorbereitete Markhöhle. Ich machte ein Modell an einem Kadaverknochen, der dann verschnitten wurde. Wir hatten kein Blut, aber Tinte. Man sah, dass jedes Mal Tinte zwischen die mit dem Finger eingestossenen Lagen kommt. Das ergab keinen verbundenen Knochenzapfen und, nach dem Einbringen der Prothese, keinen Zementmantel, der die Prothese gestützt hat und die Verbindung zum Knochen herstellen sollte. Sulzer machte dann 1973 ein Patent, ich bin darin als Erfinder genannt. Das war etwas, das auch für Professor Müller sehr gut war. Da stiegen meine Aktien.

Ingold: Wir begannen das Gespräch mit dem Einrichten der Werkstatt am alten Lindenhofspital.

Küffer: Das war noch zu dieser Zeit, das, was ich jetzt erzählt habe.

Ingold: Dann kamen die erwähnten Standortwechsel und die Trennung von Herbert Fleisch.

Küffer: Ja. Das alte Lindenhofspital wurde abgerissen. Ich war immer mit Protek verbunden. Dort war Herr Madl der Direktor, mit ihm hatte ich den Vertrag damals gemacht. Das war ein super Mensch. Für mich waren Protek und MEM dasselbe. Wenn die ein Problem hatten oder ich helfen konnte, dann war ich auch dort. Ich war einfach an vielen Orten der Gib-halte-zünd. Man wusste: «Der hilft dann schon.»

An der Murtenstrasse wurde die Werkstatt zum Labor für Biomechanik. Es gab einen Testraum, wo eine grosse Instromanlage für Pulsier- und Belastungstests aufgebaut wurde. Für spannungsoptische Versuche hatten wir ein Polariskop, einen Mikroskopierraum mit speziellen Maschinen für Histologieschnitte. Die Biomechanik wurde personell ausgebaut. Der Chef, P. G. Niederer, eine Sekretärin, Doktor Jürg Eulenberger, eine Laborantin, ein Techniker, alle hatten natürlich zum Teil sehr interessante Aufgaben an die Werkstatt. So konnte ich zwei neue sehr geschickte Mechaniker, Daniel Wyer und Martin Genge, anstellen.

Oben im Gebäude gab es das Auditorium mit einer Eidophoranlage.8 Die Kursteilnehmer konnten vom Hörsaal aus die Operationen im Inselspital in Direktübertragung anschauen und dem Operateur Fragen stellen. Die Werkstatt war während der Übertragungen aus dem OP als Kamerateam tätig. Es gab auch andere Kongresse, zum Beispiel einen Gynäkologenkongress, auch da war ich der Kameramann.

Ingold: Darauf möchte ich später zurückkommen. Jetzt möchte ich nochmals zu Protek zurückspringen. Sie haben dort auch mitgeholfen, wenn es Probleme gab, man etwas reparieren musste ...

Küffer: Ja, oder im Modellbau für die Ausstellungen oder Mithilfe an den Ausstellungen im In- und Ausland. In den Anfangsjahren war es vorgekommen, dass man express eine Prothese in ein Spital bringen musste, die das Spital nicht an Lager hatte, der Patient aber schon in der Vorbereitung lag. Als Protek an die Stadtbachstrasse umzog, gab es hinten grosse Lagerräume mit sehr grossen Fenstern. Diese Räume konnte ich als Werkstatt einrichten. Ich konnte auch zwei Mitarbeiter anstellen, die sehr lange blieben, Urs Bürki und Toni Waber. Das war, als die Technik von Protek wuchs, als das Gebiet immer grösser wurde, als es nicht mehr nur aus Professor-Müller-Prothesen bestand, sondern Protek auch Fabrikate von Spotorno, Weill, Wagner und so weiter verkauft hat. Die Technik hatte eine Abteilung für das Knie, für die Hüfte, also Leute, die zuständig waren für die entsprechenden Produkte. Sie gingen dann direkt zu Waber und Bürki.

Ingold: Hatten Sie mit Leuten der Technischen Abteilung von Protek Sachen entwickelt?

Küffer: Ja, Prothesen und Instrumente, die ich mit Professor Müller für Protek gemacht habe. Zum Beispiel die Doppelcup-Prothese mit dem ganzen Instrumentarium oder das Modularraspelsystem, die zementfreie Geradschaftprothese mit Kragen, die Knochenmühle oder die Instrumente zum Markraumsperrzapfen, die Zementierpistole mit verschiedenen Aufsätzen und Adaptern zur Abdichtung und und und. Es gab viele verschiedene Sachen, wo ich helfen konnte. Protek hatte am Anfang keine Technische Abteilung, erst später an der Stadtbachstrasse, da hatte ich einen Chef, Willi Frick, der mit mir die Aufträge besprach. Aber in den Regel hat mir Maurice Müller die Aufträge gegeben. Am Morgen operierte er. Am späten Nachmittag oder am Abend nach den Operationen hatte er Zeit und dann musste man vor Ort sein, dann hat er seine Aufträge besprochen. Also er hat gesagt, was er möchte und wie und wann. Das war, als ich noch selten bei den Operationen dabei war.

Ingold: Das ergab sich nach und nach, dass Sie bei den Operationen ...

Küffer: Im Lindenhofspital.

Ingold: Das war vor allem im Lindenhof. – Sie haben mir gegenüber erwähnt, dass Sie zum Beispiel auch für Karl Lenggenhager9 Sachen gemacht haben. Maurice Müller hat also auch andere Ärzte aus der Insel zu Ihnen geschickt?

Küffer: Ja, er hat mich ihnen zur Verfügung gestellt. Die Ärzte konnten nicht etwas entwickeln lassen, also eine Idee besprechen und ein Modell machen lassen. Das gab es nicht oder nur bei Mathys oder Synthes. Es gab schon Firmen, die das gemacht hätten, aber man musste genau wissen, was man wollte, und es kostete immer Geld. Ich habe sehr viele Aufträge bekommen, ich habe hier zwei grosse Stapel mit Unterlagen von Aufträgen, alles von verschiedenen Herren. Die fragten Professor Müller und er sagte: «Selbstverständlich, gehen Sie zum Küffer.» Manche fragten nicht und kamen einfach.

Professor Lenggenhager bat mich, zu ihm in die Klinik zu kommen. Dort sass ein Asthmatiker, der grosse Mühe beim Atmen hatte. Professor Lenggenhager erklärte mir, warum und wie das mit dem Ausatmen ist. Er stellte eine brennende Kerze vor den Patienten und sagte ihm, er solle sie ausblasen. Er konnte sie nicht ausblasen. Dann gab er dem Patienten einen kleinen Schlauch in den Mund, der durch ein mit Wasser gefülltes geschlossenes Glas ging und wieder heraus. Der Patient konnte wegen des Wasserwiderstands zwei Kerzen hintereinander ausblasen. Da habe ich es begriffen. Ich habe ein Gerät, eine kleine Pfeife gemacht, wo man den Staudruck selbst einstellen konnte. Sie haben das gesehen, das Modell ist noch da. Dann hat man das ausprobiert, in der Heiligenschwendiklinik10 haben sie es auch getestet. Das war sehr gut. Man konnte es selbst bei einem Anfall aus der Tasche nehmen und den Anfall überbrücken ähnlich wie mit der Lippenbremse, aber effektiver. Protek nahm das Gerät in den Verkauf, machte einen Prospekt. Es hat sich aber nicht bewährt. Erstens kamen diese kleinen Pumpen, mit denen man zugleich noch medikamentös etwas bewirken konnte, auf den Markt. Man wollte zweitens den Verkauf mit den Apotheken machen. Die Apotheken schlugen dermassen viel auf den Preis, dass das Gerät zu teuer wurde. Ich habe noch vierzig Stück der Heiligenschwendiklinik geschenkt.

Etwas anderes war mit Professor Bettex vom Kinderspital.11 Er hat mir die Rehbeinspangen gezeigt, die man bei Kindern mit Trichterbrust bei der Operation verwendet hat. Er sagte, es komme vor, dass die Spangen nach der Operation abkippen. Die Operateure waren gar nicht zufrieden. Dann habe ich zwei, drei Modelle gemacht und mit Synthes in Waldenburg spezielle Rehbeinspangen mit einem Brustbeinschloss entwickelt. Das war auch so eine Sache, da habe ich einen sehr schönen Prospekt gefunden. Das war also ausgereift, das Implantat, die Instrumentierung, mit Prospektmaterial. Die ersten Operationen waren vielversprechend.

Ingold: Also Waldenburg ist Straumann.

Küffer: Nein. Damals war es noch Synthes. Ich bekam von allen Firmen Unterstützung.

Ingold: Die Spangen hatten mit Rachitis zu tun und das war eine Krankheit, die dann verschwand.

Küffer: Ja. Das war auch etwas, das gar nicht viel gefragt wurde. Ich könnte nicht sagen, wie viele verkauft wurden. Hinzu kam das Handgelenk von Professor Meuli. Auch er hat im Lindenhofspital operiert. Er gab mir eine Zeichnung von einer Prothese, wie er sich die vorgestellt hat. Zuerst habe ich ein Prothesenmodell aus Canevasit und danach eines zum Einsetzen an einem Kadaverknochen aus Messing gemacht. Nach Grössenanpassung hat die Firma Sulzer dann die endgültige Prothese hergestellt.

Doktor Roland Jakob von der Orthopädie fragte mich, ob ich ihm eine Beinhalterung machen könnte, mit der man im Röntgen bei Kreuzbandriss die «Schublade» sichtbar machen kann. Er erklärte mir, wie man einen Kreuzbandriss feststellen kann. Er nahm mein Bein und sagte: «Siehst du, wenn man den Unterschenkel nach hinten schieben kann – ‹oh hoppla›, du hast das Kreuzband gerissen.» Tatsächlich hatte ich vor etwa einem Monat beim Skifahren mein Knie verletzt. Er meinte, das sollte man operieren, es würde sonst immer schlimmer. Er würde die neue Methode, bei der man einen Streifen vom eigenen Patellarsehnenband mit Schrauben am Femur und an der Tibia fixiere, anwenden und so ein neues Kreuzband setzen. Sie haben in der Orthopädie eine Studie über die Therapien nach der Operation mit Muskelbiopsien in gewissen Abständen gemacht. Ich solle doch mitmachen. Ich willigte ein. Das Operationsdatum wurde nach einer Hüftkursoperationsübertragung festgelegt. Weil da die Kamera für eine Videoaufzeichnung noch im Operationssaal war. Er meinte noch: Die Instrumentierung sei halt noch nicht ausgereift. So habe ich noch bis zwei Tage vor der Operation drei, vier Instrumente gemacht, die er dann bei mir ausprobiert hat. Bis heute ist mein Knie noch super – und die Videoaufzeichnung habe ich immer noch. Auch für die damals neue arthroskopische Meniskus-Refixation habe ich die Instrumente mit Roland Jakob entwickelt. Die Firma Bernina hat die Fabrikation übernommen und Protek den Verkauf.12

Ingold: Mit Reinhold Ganz, dem Nachfolger von Maurice Müller, haben Sie auch zusammengearbeitet. Begann das, als Ganz selbst Klinikchef war, oder vorher?

Küffer: Vorher. Er hat mich vor X Jahren an einem Sonntag notfallmässig nach einem Unterschenkelbruch operiert. Er hat bei mir das erste Mal eine von Synthes neu entwickelte Titanplatte eingesetzt. Auf meine Frage: «Warum so wenig Schrauben?», meinte er, das sei eine Leichtbauweise für Piloten. Die Operation mit der neuen Platte war natürlich ein Erfolg. Ich machte auch bei seinen Operationen an den Hüftkursen die Kameraführung. Er war letzte Woche bei mir. Wir sprechen nicht mehr über dieselben Dinge, heute sprechen wir über den Garten oder das Fischen, wir waren zusammen fischen, das wird auch wieder kommen.13 Für Professor Ganz habe ich auch verschiedene Modelle gemacht, zum Beispiel seine Pfannendachschale mit Haken, die im Verkaufsprogramm von Protek ist. Oder seine spezielle Zwinge, die noch heute gebraucht wird. Eine Beckenzwinge zur Behandlung des Blutungsschocks bei instabilen Ringverletzungen bei schweren Töffunfällen, die schon im Schockraum zum Einsatz kommen kann und Leben rettet. Oder Instrumente zur neuen Periacetabular-Osteotomie und so weiter.

Mit Doktor Martin Huber ging ich im Auftrag von Professor Müller nach England zur Ritchmond Holographic Studios Ltd. Dort haben wir Schritt um Schritt eine Hüfttotalprotesenoperation an den mitgenommenen präparierten Knochen gemacht. Jeder Schritt wurde mit den speziellen Fotokameras aus verschiedenen Winkeln aufgenommen, um ein Hologramm zu erstellen. Man konnte beim Vorbeigehen die verschiedenen Operationsschritte sehen, je nachdem, wo man stand.

Ingold: Ich habe bereits die Karte erwähnt, in der Ihnen Maurice Müller dankt. Er dankt Ihnen auch für die wichtige Mitarbeit beim Vorbereiten seiner Operationen. Jetzt sind wir im Lindenhofspital, Sie sagten, dort seien Sie vor allem in die Operationen involviert gewesen. Könnten Sie beschreiben, was beim Vorbereiten der Operationen Ihre Aufgaben waren?

Küffer: Im Operationssaal selbst war es gar nicht nötig, weil die Instrumente in sogenannte Siebe eingeteilt waren. Diese Siebe mit den Einteilungen machten wir zuvor mit Mathys zusammen. Vorher hat man die Instrumente mit sterilisierbaren, farbigen, selbstklebenden Kunststoffbänder bezeichnet. Zum Beispiel alle gelb und schwarz bezeichneten waren in einer Sterilisationsbox und so weiter. Das «Bändele» hatte seine Nachteile: Die Instrumente waren schlechter zu reinigen, der Klebstoff hat sich durch die mehrmalige Sterilisation gelöst, die Instrumente verklebten sich untereinander und so weiter. Der Sinn der Standardsiebe war der gleiche wie bei der Namensgebung mit Nummern. Die Instrumente hatten ja auch Namen. Da war ein Hebel, den hat Professor Müller «Evahebel» getauft, den Evahebel. Er wurde beim Absägen des Femurkopfes als Weichteilschutz unter den Adambogen vom Femurhals gelegt. In andern Spitälern hatten die Instrumente andere Namen wie «Löffelhebel» oder «Mantahebel» und so weiter. Dann führte das zu Missverständnissen: «Nein, ich will nicht diesen, ich will diesen Hebel.» Professor Müller sagte: «Wir machen Zeichen darauf.» Nach verschiedenen Versuchen mit Symbolen sowie Keramikfarben mit Mathys haben wir uns entschlossen, dass jedes Instrument eine Nummer entweder in einem Viereck, Dreieck oder Ring eingeätzt oder graviert bekommt.

Ingold: Die Siebe, auf denen die Instrumente liegen, als diese Siebe neu eingeführt wurden, mussten Sie sie für Maurice Müller vorbereiten?

Küffer: Sie entstanden ja mit Professor Müller. Protek hat Schwesternkurse organisiert und durchgeführt, mit interessanten Vorträgen über Metallurgie, Sterilität, Instrumentierung und so weiter. Da waren Siebe mit Einteilungen genau richtig. Vorher waren die Instrumente «gebändelt» einfach in den Steri-Boxen. Die Instrumente sind, wenn sie richtig in den Einteilungen sind, auch geschützt.

Ingold: Mussten Sie je nach Operation eine Auswahl an Instrumenten treffen, die dann in ein Sieb kamen, oder war das standardisiert?

Küffer: Das war standardisiert. Das wurden Standardsiebe mit den Einteilungen und der Nummerierung. Was ich vorher noch einflechten wollte: Die Nummerierung war nicht nur für die Instrumentierschwester nützlich. Es war auch in der Zentralsterilisation von grossem Nutzen, wenn die Siebe nach dem Waschen wieder zusammengestellt wurden. Dazu habe ich Bilder von den Sieben mit Schemas gemacht. Das hat sich bewährt.

Ingold: Die kannten nicht von jedem Sieb den Inhalt.

Küffer: Die hatten so viele Siebe, es gibt so viele Operationen in einem Spital mit mehreren Operationssälen. Sie konnten nicht alles wissen. So konnten sie nach den Nummern gehen. Zudem hat jedes Instrument eine Artikelnummer, die auf den Fotos mit Schema aufgeführt wurde. Heute hat man einen Laserleser, der die Instrumente absucht und genau sagt, wohin etwas gehört.

Abb. 4. Standardsieb mit Instrumenten zur Zemententfernung beim Wechsel des Prothesenschafts. Die Nummern dienten der Verständigung zwischen Operateur und Instrumentierpersonal. Quelle: Privatarchiv J. Küffer

Alle wussten: Es gibt eine Totalprothese, dazu wird das und das Sieb gebraucht. Ich hatte im Spital einen Schrank mit den Implantaten, die steril in allen Grössen vorhanden waren. Professor Müller machte immer eine genaue Planung. Ich war dafür besorgt, dass die geplanten Implantate im Operationssaal sind – mit Über- und Untergrössen. Ich habe mir immer Notizen gemacht über eventuelle Änderungswünsche oder Kommentare von MEM oder über den Verlauf der Operation.

Bei Revisionen, wenn eine Prothese ausgewechselt werden musste, sei es wegen den Jahren oder wegen des Materials und der Form das war ja während der Entstehung der ganzen Prothetik, damals haben Orthopäden auf der ganzen Welt Dinge hineingetan! Ich habe sie gesammelt. Wenn eine Pfanne gelockert war, also Bewegung hatte, dann gab das sehr grosse Defekte. Früher füllte man die Löcher mit Zement, legte vielleicht noch ein Drahtnetz hinein, damit der Zement nicht durchgedrückt wird.

Die Knochentransplantate wurden ein Thema. Spitäler machten Knochenbanken. Die Femurköpfe, die man bei der Operation abschnitt, wurden untersucht und getestet. Die guten wurden in einer Knochenbank tiefgefroren. Es gab Ärzte, die diese Köpfe nach dem Auftauen und Entfernen der gröbsten Weichteile implantierten. Mit der Begründung, es ist ja nur ein Gerüst. Ich hatte immer die Überzeugung: «Wenn ein Gerüst, dann ein sauberes Gerüst ohne Weichteile und Fettanteile und so weiter.» Man versuchte es mit dem Acetabulumfräser, indem man die Femurköpfe ausraspelte und das ausgeraspelte Gut einsetzte. Es war nur Knochenmehl. Ich machte eine Knochenmühle, die mit der Pressluftbohrmaschine getrieben wurde.

Ingold: Der Zweck einer Knochenmühle ist, das Knochentransplantat vorzubereiten?

Küffer: Genau. Ich holte einen Femurknopf aus der Knochenbank, schaute Planung und Röntgenbilder an und wusste, wenn Professor Müller nicht einen speziellen Wunsch hatte, was für Knochensegmente gebraucht werden. Steril hinter dem Operateur habe ich die Knochentransplantate gemacht. Weichteile und Fettzüsten wurden mit dem Luer entfernt und, je nachdem, mit der Säge im richtigen Winkel Scheiben, Kalotten, Zapfen oder Blöcke geschnitten, der Rest mit der Knochenmühle zerhackt. Der Trick unserer Knochenmühle war, dass die Struktur des Knochens, die Trabekuli, erhalten bleibt, um sie als Platzhalter mit Stützfunktion einzusetzen. Nicht nur Knochenmehl. Ich wusch sie mit speziellen Sieben x-mal sauber und gab sie in getrennten Schalen Professor Müller zum Implantieren. Das war zum Teil meine Aufgabe im Operationssaal. Später wurde nach dem gleichen Prinzip mit der Firma Bernina eine Knochenmühle nach meinen Modellen, aber mit einer eigenen Turbine gebaut und von Protek ins Verkaufsprogramm aufgenommen.

Ingold: Lotti Schwendener war bei den Operationen am Lindenhofspital ebenfalls dabei. Sie hat Maurice Müller auch assistiert.

Küffer: Ja, sie war fast immer der zweite Assistent.

Ingold: Sie mussten manchmal auch mit anpacken, ein Bein in die richtige Position bringen.

Küffer: Ja, äh.

Ingold: Selten.

Abb. 5. Knochenmühle zur Vorbereitung von Knochentransplantaten. Quelle: Privatarchiv J. Küffer

Küffer: Ein einziges Mal sagte MEM, ich solle jetzt auch mal, ich hätte ja nun gesehen, wie es gehe. Aber ein Bein nehmen, ziehen, drehen und kippen im richtigen Moment, im richtigen Winkel, mit der richtigen Kraft, sodass der Patient keinen Schaden nimmt, das war nicht so einfach. Professor Müller war sehr grosszügig mir gegenüber, er sagte: «Probieren Sie’s noch mal.» Dann half er mir. Lotti Schwendener kenne ich schon sehr lange. Sie war wie der Küffer einfach für alles zuständig, speziell bei der Fotografie. Professor Müller hat jeweils gesagt: «Wo isch s Lotti?» Oder: «Wo isch dr Küffer?» Wenn er etwas brauchte, waren wir da.

Die Hüftkurse mit praktischen Übungen gab es dann auch im Ausland, da war einer auf Madeira, in Frankreich, in Amerika und so weiter und in Indien, wo ich mit Lotti war. Professor Müller und Professor Wagner operierten im dortigen Universitätsspital. Die ganzen Übungsinstrumente für die Kursteilnehmer konnten wir schicken. Wir wussten, dass Professor Müller eine Hüfttotalprothese machen würde. Aber die Inder haben einen ganz anderen Knochenbau als – sagen wir jetzt mal – die Afrikaner. Das sind ganz andere Dimensionen. Ich nahm das ganze Operationsmaterial aus der Schweiz mit, jeden Hebel, jeden Meissel, jedes Dingsbums, jedes Implantat, alles musste man mitnehmen und dort je nach Operationsplanung zur Verfügung haben. Die Patientinnen oder Patienten standen noch nicht fest. Wir mussten während der Operation dabei sein, weil die Instrumentierschwestern den Operationsablauf und das Instrumentarium nicht gut kannten. So konnten wir helfen und zeigen, welches Instrument er jetzt brauche: «Das muss man da aufschrauben» und so weiter.

Ingold: Sie waren auch einmal Versuchskaninchen, als man die Laminar-Air-Flow-Technik am Inselspital ausprobiert hat, also eine Druckkammer in den Operationssaal gestellt hat, um die Sterilität zu verbessern.

Küffer: Nicht Versuchskaninchen, Mitwirkender. Ich konnte früher auch einmal mit Professor Müller zu Professor Charnley nach England. Charnley war ein unwahrscheinlicher Typ. Wenn man nur schon seine Bücher anschaut. Was der alles gemacht hat. Das war ein Tüftler. Er ging auch selbst an die Drehbank. Die Operateure hatten Helme auf, wie Astronauten, und die Abluft wurde abgesaugt vom Patienten weg. Er fing auch mit dem Laminar Flow an. Professor Müller hat das im Inselspital eingeführt. Ein Professor Schubert aus Frankreich wurde engagiert. Er leitete all die Versuche. Wir haben mit einer Firma im Operationssaal eine Kabine gebaut, wo die Luftzufuhr durch eine feine Filterdecke über dem Operationsfeld gleichmässig eingeblasen wurde. So entstand eine Laminarströmung. Mehrere Personen mussten mitmachen. Wir mussten uns in der Kabine nach einem Muster bewegen. Man stand auf einem Gitterrost. Die Abluft blies über Petrischalen. An einem Tag mussten wir einmal duschen, am andern zweimal und in der Kabine immer das gleiche Bewegungsmuster machen. Das Resultat war gut, aber ich weiss noch, dass Professor Schubert gesagt hat: «Das Sicherste wäre sowieso, auf der Strasse zu operieren», punkto resistenter Keime und so weiter.

Ingold: Hat man solche Überdruckkabinen nachher am Inselspital standardmässig verwendet bei Hüftoperationen?

Küffer: Ja. Eine richtige Glaskabine wurde von der Firma installiert. Professor Müller hat nachher auch einen Operationssaal am Lindenhofspital so ausgestattet und finanziert. So konnte er auch Gäste mitnehmen. Gäste hatte man nicht so gerne im Operationssaal. Das waren Herren aus anderen Spitälern. Gäste waren immer ein Risiko.

Ingold: Bei Maurice Müller waren Gäste gang und gäbe?

Küffer: Nein, nicht gang und gäbe, aber er hatte schon immer wieder Gäste. Aber das ging mit dem Laminar-Flow-System sehr gut. Die waren ausserhalb der Glaskabine. Sie konnten ihm beim Operieren zusehen und seine Operationstechnik lernen, sie konnten fragen, wenn etwas nicht klar war, aber sie waren nicht in der Nähe des Operationsfeldes. In dieser Kabine waren eigentlich nur die Operierenden, die Instrumentierschwester, und die Zudienenden. Und manchmal noch ich.

Ingold: Verlassen wir den Operationssaal und gehen wir über zu den Hüftkursen. Zu den Problemen, mit denen Sie sich dort herumschlugen, gehörte die Verfügbarkeit von Knochen. Die Hüftkurse waren dazu da, Mediziner im Einsetzen von Prothesen zu schulen. Dazu hat man praktische Übungen gemacht und man brauchte Material, um daran zu üben.

Abb. 6. Künstliche Gelenkpfanne in einem Knochen aus Kunststoff. An solchen Gelenkmodellen übten die Teilnehmer der Hüftkurse teilweise das setzen der Prothesen. Foto: R. Zimmermann, Medizinsammlung Inselspital Bern, Inventar-Nr. 15008

Küffer: Das begann in Davos, wo die AO-Kurse in kleinerem Rahmen im Hotel Europa im Erdgeschoss stattfanden. Das Kongresshaus gab es noch nicht. Die Organisation der praktischen Übungen sowie die Instrumentenbeschaffung mit den Übungsknochen waren vom Forschungsinstitut Davos gemacht worden. Das Kursbüro war Sache von Marcel Madl. Ich war einfach der, der mithalf, bei Protek mit dem Ausstellungsstand sowie der Vorbereitung der Kursmappen für die Teilnehmer. Ich half im Kursbüro und bei den praktischen Übungen. Die Übungsplätze mussten immer wieder neu eingerichtet und gereinigt werden. Die Knochenbeschaffung war jeweils gar nicht so einfach. So hiess es: «Küffer, Sie müssen noch dorthin fahren, um Knochen abzuholen.» Wir fuhren, meine Frau und ich, mit der Ladung nach Davos. Die Knochen waren mit Formalin behandelt. Wir fuhren trotz Winter mit offenen Fenstern, sonst wären wir der Formalindämpfe wegen komplett benebelt gewesen.

Ingold: Wissen Sie, wie die Verwendung von Knochen zu Schulungszwecken in der Medizin damals geregelt war?

Küffer: Nein. Ich habe einfach verschiedene Adressen bekommen, bei denen ich eine Sendung abholen musste.

Ingold: Sie haben auch Hüftgelenkmodelle hergestellt, weil es zu wenig Knochen gab. An den Modellen konnte man das Einsetzen von Hüftgelenkprothesen üben.

Küffer: Ja, Kunststoffknochen. Professor Perren vom Institut Davos hatte mit einer Firma, die Kunststoffknochen machte, Kontakt. Aber Becken gab es damals noch nicht. Becken waren viel schwieriger zu beschaffen als Oberschenkel. Wir haben in Bern in der Anatomie die praktischen Übungen der Hüftkurse angefangen. Da hatte man an speziellen Tischen mit Schraubstöcken an Übungsknochen die Implantation der Hüftprothesen geübt. Meine Aufgabe war das Einrichten des Übungsraums, die Beschaffung von Instrumentarien je nach Übung, Pressluftmaschinen, Übungsknochen, Schürzen, Handschuhen und so weiter. Für die Pressluftversorgung habe ich immer einen Baukompressor gemietet, der im Garten aufgestellt wurde. Als die Protek AG aus Platzgründen von der Murtenstrasse an die Stadtbachstrasse zügelte, konnten wir die praktischen Übungen im grossen ehemaligen Protek-Lager durchführen. Der Raum wurde jeweils für die Übungen umgebaut und eingerichtet. Die Beschaffung der Humanknochen wurde immer schwieriger und die Kursteilnehmerzahl grösser. Als wir keine Becken mehr bekamen, habe ich selbst in der Werkstatt Beckenhälften mit Spongiosa-Kern aus Kunststoff gegossen. Ich habe noch schöne Modelle von damals hier. Aber es hat sich nicht bewährt. Während der Übungen hat man sie mit dem Os Pubis14 im Schraubstock eingeklemmt, sodass die Orientierung gestimmt hat. Wenn die Kursteilnehmer dann frästen und hämmerten, brachen die Modelle. Die Firma hat daraufhin Becken aus ihrem bewährten Kunststoff hergestellt und unser Problem war gelöst.

Ingold: Sie haben erwähnt, dass Sie auch Kameramann waren. An den Hüftkursen gab es eine Operation, die gefilmt und direkt aus dem Operationsaal in einen Hörsaal übertragen wurde.

Abb. 7. Kameramann Jürg Küffer bei Filmaufnahmen. Den Scheinwerfer auf der Kamera fertigte Küffer aus Diaapparaten, um die Tiefe der Operationswunde ausleuchten zu können. Quelle: Privatarchiv J. Küffer

Küffer: Ja, Professor Müller hatte an der Murtenstrasse 35 ein grosses Auditorium mit einer Eidophoranlage und mit einem professionellen Regieraum. Weil ich den Operationsablauf kannte und wusste, was man im Detail zeigen wollte, habe ich immer die OP-Kamera geführt. Die schwere OP-Kamera mit grossem Kamerawagen schaute über die Schulter des Operateurs. Das Problem, das wir hatten, war das Licht. Der Lichtkegel war zu gross, der Wundrand war hell, aber in der Tiefe der Wunde hatten wir kein Licht, um Details zu zeigen. Das war damals nicht wie heute. Man hatte Scheinwerfer und die Operationsleuchten. Die OP-Leuchte konnten wir aus Platzgründen nicht brauchen, und die Scheinwerfer durfte man nicht lange brauchen, weil die Hitze die Wunde austrocknete. Auch die Ärzte kamen ins Schwitzen. Das ging nicht. Ich ging zu einem Antiquitätenhändler und kaufte einen alten Diaapparat, bei dem man die Dias von links nach rechts schieben musste. Von einem Diaprojektor, den wir hatten, nahm ich die Optik und montierte beides zusammen auf die Kamera. So hatte ich einen richtigen verstellbaren Scheinwerfer, wo ich den Lichtkegel verstellen konnte.

Ingold: Mit einem engen Lichtkegel.

Küffer: Ja. Damit konnte ich fokussieren und in der Wundtiefe beleuchten.

Ingold: Wurde das auch weiterentwickelt?

Küffer: Von uns nicht, aber es kamen andere Lichtquellen auf den Markt, Kaltlicht und so weiter.

Ingold: Aber das entstand nicht aus Ihrer Entwicklung, das war die Kameratechnik, die sich verändert hat.

Abb. 8. Um eine Blasenentfernung von oben filmen zu können, fertigte Jürg Küffer ein Gestell aus Rohren. Quelle: Privatarchiv J. Küffer
Abb. 9. Weil ihm Dämpfe, die beim Durchtrennen von Gewebe mit dem Elektrokauter entstanden, in die Nase stiegen, steuerte Küffer bei der Neuauflage des Kongresses die Kamera mit Kabelzügen. Quelle: Privatarchiv J. Küffer

Küffer: Ja, ich habe immer improvisiert. Ich habe das gebraucht, was ich kannte und hatte. Es hat funktioniert, das war für mich das Wichtige. Es war ja nicht für den Verkauf. Gynäkologen hatten einen Kongress in der Müller-Stiftung. Auch mit Operationsübertragung. Sie wollten eine Blasenentfernungsoperation im Hörsaal zeigen. Jetzt hiess es: «Wie können wir das machen?» Das Stativ konnte nicht so hoch eingestellt werden, um mit der schweren Kamera die Operation von oben zu filmen. Ich machte im OP um den Operationstisch ein Gestell aus 3/4-Zoll-Wasserröhren, ganz gewöhnliche galvanisierte Wasserröhren und Fitting, die man überall kaufen konnte. Dann nahm ich die vier Räder eines Transportwagens, entfernte die Pneus, sodass die Kufen auf den Stangen rollen konnten. Ich baute die Kamera in eine Halterung mit verstellbarem Schwerpunkt aus Rohr und Fitting. Bei der Operation lag ich oben auf dem Gestell und bediente die Kamera. Unter mir wurde die Blase mit der Elektrokaustik entfernt. Das hat geraucht! Proscht Nägeli! Ein zweiter Gynäkologenkongress war ein Jahr später oder so. Ich habe dieses Gestell noch einmal gebraucht. Ich änderte die Kamerahalterung so, dass ich von unten wie auf einer Harfe die Kamera via Umlenkrollen und Kabelzug bedienen konnte.

Ingold: Wie in einem Marionettenspiel?

Küffer: Genau. So bediente ich dann die Schärfe, den Zoom, die Kamerabewegung und die Arretierung und so weiter.

Ingold: Haben Sie das im Voraus geübt?

Küffer: Ja, als wir das aufgestellt haben.

Ingold: Ideen muss man haben.

Küffer: Die hatte ich immer, es musste funktionieren und damit basta.

Ingold: Ich habe noch zwei Fragen und dann sind wir durch. Ich würde gerne in das Jahr 1992 springen, als Sie Ihre eigene Firma gegründet haben, die Accuratus AG.

Küffer: Die Firma Accuratus wurde 1992 von mir gegründet. Ich habe bis 1994 für Professor Müller in der MEM-Werkstatt gearbeitet. Die MEM-Werkstatt war an der Holligenstrasse 94 eingemietet, mit zwei Mitarbeitern, die erwähnten Herren Bürki und Waber, beide sehr gute Mechaniker. Beide Herren wurden Protek angegliedert. Das war, als die Technik von Protek wuchs und das Gebiet immer grösser wurde. Die neue technische Führung von Protek hat mich wie einen Konkurrenten behandelt, also überhaupt keine Unterstützung, im Gegenteil.

Die MEM-Werkstatt, die von der Stiftung getragen wurde, machte weiter mit Neuentwicklungen von Instrumenten und Implantaten. Was sich aber geändert hatte: Die Arbeiten mussten dem Auftraggeber verrechnet werden. Da klemmte irgendetwas! Ich habe mich dann auf den Reparaturservice konzentriert. Mit den Reparaturen lernt man die Schwachstellen der Instrumente kennen. Ich hatte im OP gesehen, wie wichtig ein zuverlässiger Reparaturservice ist. Wenn ein Instrument, das viel gebraucht wird, defekt war, musste es so schnell wie möglich repariert oder ersetzt werden. Es gab Instrumente, wo die Hersteller nicht mehr bekannt waren. Die wurden einem Lieferanten zur Reparatur geschickt. Circa nach zwei bis drei Wochen kam das Instrument zurück mit dem Vermerk: «Das Instrument ist nicht von uns, es kann von uns nicht repariert werden.»

Ich habe gesagt: «Wir machen einen Reparaturservice, einen Schnellservice, wo alle Instrumente repariert oder ersetzt werden können.» Ich habe verschiedene Firmen bezüglich der Reparaturersatzinstrumente, Halbfabrikate oder Ersatzteile kontaktiert, und es kam zu Vertragsabschlüssen. Wir informierten die Spitäler und teilten Protek mit, dass wir einen Reparatur-Schnellservice haben, sodass die Protek-Reparaturen nicht mehr an Mathys geschickt werden müssten. Ich bekam eine interne Protek-Mitteilung zugespielt, dass wiederum von der Führung der Protek-Technik das Vorhaben gebremst wurde.

Die Ersatzwerkzeuge, die ich erwähnt habe, die haben wir mit «MEM-W» geätzt, damit man sie erkennen konnte punkto Garantie und so weiter. Professor Müller hat zu mir gesagt: «Ich habe das nicht gerne, wenn Ihr meinen Namen braucht auf Klemmen oder so.» Ich habe gefragt: «Warum?» Es heisse «Medizin – Entwicklung – Mechanik». Er hat gelacht und war zufrieden.

Eigentlich war ich froh, als ich von Protek loskam und mich wieder der Arbeit und nicht dem Machtkampf widmen konnte. Ab 1993 hat mein Sohn in der Firma Accuratus bereits gearbeitet, ab 1994 bin ich dann aktiv geworden und habe mit meinem Sohn die Firma Accuratus geführt.

Ingold: Diese Firma entwickelt aber weiterhin mit Ärzten Medizintechnik?

Küffer: Ja, gelernt ist gelernt. Wir haben uns von den Implantaten distanziert und nur noch im Instrumentensektor Entwicklungen gemacht.

Wir hatten noch zwei, drei Sachen, die wir gemacht haben, für die ich gar nie Rechnung stellen konnte, weil es nie beendet wurde. Es gab Schulter- und sonst noch Spezialisten, die haben unsere Prototypen an die Fabrikanten im Ausland und in der Schweiz zur Fabrikation weitergegeben, ohne die Prototypen zu bezahlen. Wir hatten sowieso einen schwierigen Stand mit Allgemeininstrumenten, und zwar einfach wegen des Preises der Instrumente aus Pakistan. Ich habe ein ganzes Buch über Pakistan, wie die dort arbeiten. Das sind Künstler nach Noten, sie sitzen am Boden, halten die Teile auch mit den Füssen, feilen und machen und tun und kosten nichts. Materialmässig ist es schon anders, man merkt den Unterschied gut. Ja, voilà. Zum Teil haben wir für einen geschmiedeten Rohling mehr bezahlt als für das fertige Instrument aus Pakistan.

Dazu kam, dass die Instrumentarien verschiedener Prothesenfabrikate von den Firmen gratis den Spitälern abgegeben wurden. Bedingung: Sie mussten die Implantate bei der Firma kaufen. So kam es, dass die Instrumente in der Herstellung wenig kosten durften. Dementsprechend sahen die dann auch aus. Von gewebeschonend keine Rede. So haben wir unsere eigene Marke kreiert und schützen lassen, die Subtilis-Linie, aus dem Lateinischen «sehr fein gearbeitet, sehr durchdacht».

Die RMS Foundation15 in Bettlach hat eine Studie im Vergleich zu herkömmlichen Instrumenten betreffend Gewebeschutz gemacht. Dies wurde somit auch noch wissenschaftlich bestätigt. Die Subtilis-Linie und viele Accuratus-Instrumente werden heute in 38 Länder verkauft. Zu unsern Kunden zählen nebst vielen Schweizer Spitälern auch Firmen wie Johnson & Johnson, Mathys, DePuy Synthes, Smith & Nephew und viele mehr. Das macht mich heute sehr stolz.

Ingold: Letzte Frage. Gibt es solche Mechaniker, wie Jürg Küffer 1967 einer war, die in die Operationssäle gehen, den Ärzten auf die Hände schauen und Ideen entwickeln, wie man Probleme lösen kann, gibt es die heute noch?

Küffer: Sicher. Das wird es immer geben in jeder Berufsgattung. Jemand, der den Beruf ernst nimmt und an ihm Freude hat. Einer, der mit dem Beruf lebt. Die Berufszeit ist ein grosser Teil der Lebenszeit. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

In der Medizinaltechnik ist das Umfeld ein ganz anderes geworden. Die Anforderungen sind viel strenger, die ganze Zertifizierung im In- und Ausland ist sehr kompliziert und zeitaufwendig mit sehr viel Büroarbeit. Wenn ich denke, wie viele sogenannte Machbarkeitsstudien und Risikoanalysen ich früher hätte schreiben müssen: Danke schön! Gott sei Dank hat das alles mein Sohn gemacht. Ich hatte sehr gute Unterstützung durch ihn, der nach meiner Pensionierung das Unternehmen weitergeführt und ausgebaut hat. Ich hatte wie immer einfach Glück, super!

Man sollte die Gelegenheiten beim Schopf packen und sie leben und nicht unbedingt immer auf das Geld schauen. Ich hatte schon als kleiner Junge immer Geld im Sack, ich brauchte es nicht, deshalb hatte ich es immer. Ich hatte Glück, manchmal erkennt man es nicht, manchmal erst im Nachhinein. Einiges würde ich anders machen, ich würde umgänglicher sein.

Leider gibt es heute nur noch sehr wenige Menschen wie Maurice E. Müller, die die Entwicklung vor den eigenen Profit stellen. Wenn ich denke, was er alles auf die Beine gestellt hat. Hut ab!

Wenn die ganze Museumsgeschichte mit Interviews und so weiter fertig ist, kann ich mich zurücklehnen und das Fischen mit Reinhold Ganz ins Auge fassen. – Merci vielmal!

Ingold: Ich danke Ihnen sehr, Herr Küffer.

Notes

1Herbert Fleisch (1933–2007) hatte 1967 das Pathophysiologische Institut der Universität Bern aufgebaut. Hintergrund bildete eine Studienreform. Fleisch blieb bis 1997 Institutsdirektor. Davor hatte er vier Jahre das Schweizerische Forschungsinstitut Davos der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO), heute AO Research Institute Davos (ARI), geleitet. Zur Geschichte des Pathophysiologischen Instituts vgl. Kommission für Bernische Hochschulgeschichte: Lexikon, 1984, S. 641. – Das Gespräch wurde in Mundart geführt. Jürg Küffer überarbeitete und ergänzte das Transkript schriftlich. In einer gemeinsamen Sitzung haben Jürg Küffer und Niklaus Ingold die Überarbeitung abgeschlossen. ↩︎
4Gemeint ist das AO Research Institute Davos (ARI). ↩︎
5Das Pathophysiologische Institut wurde 1967 in Bern neu gegründet. Von Davos nach Bern zog nur Herbert Fleisch um. ↩︎
6Das alte Lindenhofspital wurde 1977 abgerissen. Vgl. hgb.: Spital, 1977. Die Murtenstrasse 35 beherbergte ab 1975 das Pathophysiologische Institut, die Protek AG und die Fondation Maurice E. Müller (vormals Protek-Stiftung) mit der Hüftdokumentation und der AO-Dokumentationsstelle. Zudem richtete Müller an der Murtenstrasse 35 das Labor für Biomechanik ein, das 1981/82 zum M. E. Müller-Institut für Biomechanik wurde. Die Protek AG zog 1979 an die Stadtbachstrasse 64 in Bern. Jürg Küffer verlegte seine Werkstatt dorthin. Vgl. Schatzker: Müller, 2018, S. 121–122. Die MEM-Werkstatt befand sich an der Holligenstrasse in Bern. In den Quellen finden sich unterschiedliche Angaben zum Bezugsdatum der Murtenstrasse 35. Eine Stiftungsgeschichte nennt fälschlicherweise das Jahr 1971. Vgl. Maurice E. Müller Foundation: The Maurice E. Müller Foundation, 1990, S. 9. Zu Niederer siehe Kapitel «Der Beitrag der Werkstoffforscher», Anmerkung 12. ↩︎
9Karl Lenggenhager (1903–1989) war Chirurgieprofessor an der Universität Bern und Klinikdirektor am Inselspital Bern. ↩︎
10Heute: Berner Reha Zentrum. ↩︎
11Marcel Charles Bettex (1920–1997) war Chefarzt am Jenner-Spital Bern, ab 1964 Privatdozent für Kinderchirurgie an der Universität Bern, ab 1965 ausserordentlicher und ab 1970 ordentlicher Professor. ↩︎
12Nach der alten Methode wurde der Meniskus entfernt, nach der neuen Methode genäht. Die Firma Bernina, ein Nähmaschinenhersteller, produzierte die dazu nötigen Spezialnadeln. ↩︎
13Das Gespräch fand während der Coronapandemie statt. ↩︎
14Das Schambein. ↩︎
15«RMS» steht für Dr. h. c. Robert-Mathys-Stiftung für medizinische und klinische Forschung sowie technische Entwicklung und Fortbildung in deren Anwendungsbereichen. Sie wurde 1985 von Robert Mathys senior gegründet. 1992 gingen die Forschungsabteilung und das Prüflabor der Mathys AG in die Stiftung über. Die Stiftung entwickelte sich zum Forschungsinstitut und Dienstleistungslabor. Vgl. RMS Foundation: Geschichte. ↩︎