Auf Basis von schweizweit repräsentativen Bevölkerungsbefragungen beschäftigt sich der Beitrag mit Punitivität als einer Dimension kriminalitätsbezogener Einstellungen. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit in der Bevölkerung eine Tendenz vorliegt, vergeltende Strafen im Vergleich zu versöhnenden zu bevorzugen und sich positiv zu harten Strafen gegenüber Normbrecher:innen zu positionieren. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der zeitlichen Entwicklung entsprechender Einstellungen zwischen 2018 und 2024. Im Ergebnis zeigt sich, dass etwa vier von zehn Befragten die Todesstrafe als Sanktion nicht kategorisch ausschliessen. Zwei Drittel sprechen sich pauschal für eine härtere Gangart gegenüber Straftäter:innen aus. Zudem gab es von 2021 auf 2024 einen signifikanten Anstieg der Punitivität. Autoritarismus und Ausländerfeindlichkeit weisen enge Zusammenhänge mit der Punitivität auf. Weniger bedeutsam, aber dennoch von substanziellem Einfluss war zudem die Kriminalitätsfurcht. Alle drei Faktoren erhöhten die Punitivität. Befragte mit höherer Bildung äussern weniger Punitivität, ebenso Personen, die in Städten leben. Befragte, die in einer Partnerschaft leben, sind punitiver eingestellt; Männer befürworten häufiger die Todesstrafe als Frauen.
Punitivität ist ein multidimensionales Konzept. Von Punitivität wird bspw. mit Blick auf die Gefangenenraten eines Landes gesprochen; hohe Gefangenenraten indizieren in dieser Hinsicht eine höhere «Straflust» einer Nation. Ueli Hostettler hat sich viele Jahre lang mit dem Strafvollzug der Schweiz wissenschaftlich beschäftigt, so u.a. mit den Bediensteten im Vollzug oder dem Thema Alter und Sterben. Auch das Thema Punitivität hat er dabei in seinen Arbeiten adressiert. Er und seine Kolleginnen haben sich bspw. mit dem punitiven Charakter des Electronic Monitoring (EM) beschäftigt und dabei konstatiert: «The use of EM as a means of controlling people on parole turns it into an additional punishment because it substantially restricts freedom of movement and deprives people of the dynamics of family, work and life in general» (Richter et al., 2021, S. 275). Sanktionen und Massnahmen kritisch hinsichtlich ihres punitiven Charakters zu betrachten, zeichnete – neben vielen weiteren Aspekten – die Arbeit von Ueli Hostettler aus.
An dieser Stelle soll sich allerdings nicht mit dem Strafvollzug oder einzelnen Sanktionen beschäftigt werden, sondern mit einer anderen Dimension der Punitivität: der gesellschaftlichen Kultur, sichtbar gemacht anhand individueller punitiver Einstellungen. Diese Kultur rahmt gewissermassen den sanktionierenden Umgang mit der Kriminalität, legt die Basis dafür, welche Strafen gesprochen und wie sie vollzogen werden. Die Betrachtung punitiver Einstellungen ist zunehmend von Bedeutung, da sich kriminalpolitische Entscheidungen immer stärker an öffentlichen Meinungsbildern und weniger an wissenschaftlichen Erkenntnissen über Sinn und Unsinn des Strafens orientieren. Individuelle punitive Einstellungen umfassen dabei «die Tendenz, vergeltende Sanktionen vorzuziehen und versöhnende zu vernachlässigen», d.h. Strafsanktionen zu befürworten, die auf «Härte und Schärfe» setzen (Lautmann & Klimke, 2004, S. 9). Punitive Einstellungen beinhalten also, dass sich Menschen befürwortend zu harten Strafen gegenüber Normbrechenden positionieren (Reuband, 2003).
In diesem Beitrag wird auf Basis von schweizweit repräsentativen Befragungsstudien die Veränderung punitiver Einstellungen im Zeitraum 2018 bis 2024 untersucht. Die Ausgangsthese lautet dabei, dass in diesem Zeitraum strafharte Haltungen in der Bevölkerung zunehmend Zustimmung erhalten. Dies lässt sich mit dem «expressive approach» der Erklärung punitiver Einstellungen begründen (Hirtenlehner, 2011, S. 32 f.). Dieser Ansatz lokalisiert die Ursachen für punitive Einstellungen in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen, die zu Unsicherheiten, Anomie- und Orientierungsproblemen führen. Diese gehen entsprechend des «expressive approach» damit einher, dass gegenüber Personen, die als Störer:innen der gesellschaftlichen Ordnung betrachtet werden (bspw. kriminelle Personen), besonders negative Haltungen ausgebildet werden. Hirtenlehner (2011, S. 32 f.) schreibt in diesem Zusammenhang: «Both forms of insecurity, both the subliminal amorphous fears as well as the concrete threats to personal future and identity daily experienced are channelled towards ‘outsiders’ considered dangerous [...] By breaking down the diffuse anxieties into specific problems – namely crime and criminals – they become nameable and communicable, workable and sometimes even manageable». In den zurückliegenden Jahren war die Schweiz, ebenso wie viele andere Gesellschaften, in verschiedener Hinsicht Wandlungsprozessen und damit neuen Unsicherheiten ausgesetzt. Hierzu gehörten u.a. der Zuzug von geflüchteten Personen, die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und in dessen Folge die steigende Inflation und Energieknappheit. Multiple Krisen innerhalb kurzer Zeit sollten sich, so die Annahme, in einem Anstieg punitiver Einstellungen niederschlagen.
In der Schweiz gibt es seit längerer Zeit keine repräsentativen Befragungen zu punitiven Einstellungen. In einer ländervergleichenden Studie aus dem Jahr 2004/2005, an der auch die Schweiz teilnahm, zeigt van Kesteren (2009), dass unabhängig vom verwendeten Punitivitätsmass für die Schweiz die geringste Punitivität festgestellt wurde; Österreich wies ein etwas höheres Niveau auf, Deutschland lag im Punitivitätslevel noch etwas höher, aber unterhalb des Durchschnitts. Die höchste Punitivität fand sich in Ländern wie den USA oder Grossbritannien. Weitere Studien zum Thema sind noch älteren Datums: Kuhn et al. (2004) werteten Befragungsdaten aus dem Jahr 2000 aus, wobei die Studie später wiederholt wurde (Kuhn & Vuille, 2011). Allerdings nutzte diese Studie eine spezifische Methode, da sie Punitivität im Wesentlichen anhand von Vignetten untersuchte, sich dabei auf einen Vergleich der Urteile von Richter:innen und der Bevölkerung fokussierte und eher geringe Befragtenzahlen erreichte (jeweils ca. 600). Languin et al. (2006) untersuchten in ihrer Studie aus dem Jahr 2000 nur die Westschweiz, die Studien von Obst et al. (2001) und Schwarzenegger (1992) liegen noch deutlich länger in der Vergangenheit. Staubli und Fink (2021, S. 158) berichten anhand von Vignetten-Auswertungen im Vergleich der Jahre 2007 und 2015, «dass die Gefängnisstrafe mehrheitlich an Bedeutung verloren hat. Jene Personen hingegen, welche bei den […] Vignetten eine Gefängnisstrafe als Strafform auswählten, zeigen sich punitiver im Vergleich zu den Vorjahren», sprachen sich also für mehr Strafmonate aus. Da aber auch diese Studie nur bis 2015 reicht, erscheint eine aktuelle Bestandsaufnahme zur Verbreitung und zu den Einflussfaktoren der Punitivität in der Schweiz geboten.
Hinsichtlich der Erfassung individueller Punitivität im Rahmen von Befragungsstudien gibt es, wie die Ausführungen bereits andeuten, unterschiedliche Positionen; einen Konsens darüber, welcher Weg der geeignetste ist, gibt es bislang nicht. Mindestens drei Konzeptionen sind zu unterscheiden (vgl. Suhling et al., 2005, Simonson, 2010): Einzelitem-Instrumente, Punitivitäts-Skalen und die Vignettentechnik.
Unter anderem aufgrund ökonomischer Überlegungen kommen in Studien zum Thema Punitivität, insbesondere auch dann, wenn es sich um Mehr-Themen-Befragungen handelt, Einzelitem-Instrumente zum Einsatz. Häufigstes Beispiel hierfür ist die Frage nach der Einstellung zur Todesstrafe. Allerdings wird dieser Weg der Messung auch kritisiert, und zwar deshalb, weil die Menschen verschiedene Assoziationen haben, wenn sie sich allgemein zur Todesstrafe positionieren sollen. Aus diesem Grund wurden zusätzlich Punitivitätsskalen entwickelt, die aus mehreren Items bestehen. Allerdings wird von Suhling et al. (2005, S. 206) gegen diese Skalen eingewendet, dass sie heterogene Aspekte erfassen, d.h. u.a. Items zur Strafhärte, zur Effektivität bestimmter Strafformen oder zum Verhalten von Straftäter:innen beinhalten. Damit gilt letztlich auch, was gegenüber den Einzelitem-Instrumenten kritisiert wird: Die Items rufen bei den Befragten Assoziationen hervor, die sehr unterschiedlich ausfallen können. Unter einem «Straftäter» oder einer «Straftäterin» mag der eine Befragte eine Betrügerin, die andere einen Sexualstraftäter subsumieren, mit sehr unterschiedlichen Folgen für das Strafbedürfnis. Vignetten können solch verschiedenartige Assoziationen reduzieren, insofern sie eine konkrete Schilderung einer Straftat beinhalten. Als weiterer Vorteil der Vignettentechnik kann angeführt werden, dass die Bewertung in Form eines verhängten Strafmasses konkreter ausfällt. Gleichzeitig haben Vignetten auch nicht zu vernachlässigende Nachteile. Die Generalisierbarkeit ist notwendig begrenzt, eben weil sie nur konkrete Schilderungen von einzelnen Straftaten beinhalten. Die Reliabilität eines auf Vignetten beruhenden Instruments fällt daher eher niedrig aus. In der nachfolgend vorgestellten Trendstudie wurden nur ein Einzelitem-Instrument sowie eine Punitivitätsskala eingesetzt, weshalb hier nur auf diese beiden Wege der Messung von Punitivität zurückgegriffen werden kann.
Zu den Einflussfaktoren punitiver Einstellungen liegt mittlerweile eine Vielzahl an Befunden vor, die hier nicht ausführlich gewürdigt werden können. Untersucht wurden u.a. sozio-demografische Faktoren, kriminalitätsbezogene Variablen, der Medienkonsum und weitere Einstellungen.
Sozio-demografische Faktoren haben entsprechend der vorliegenden Studienergebnisse einen eher schwachen Einfluss auf punitive Einstellungen. Konsistente Befunde finden sich vor allem für das Bildungsniveau: Eine hohe Bildung geht mit einer geringeren Punitivität einher (u.a. Windzio et al., 2007). Für das Alter und das Geschlecht zeigen sich teilweise widersprüchliche Ergebnisse.
Wiederholt untersucht wurden Zusammenhänge zwischen kriminalitätsbezogenen Variablen und punitiven Einstellungen. Hierzu zählt u.a. die eigene Viktimisierung. In den meisten Studien findet sich dabei kein Effekt der persönlichen Viktimisierung auf punitive Einstellungen (u.a. Baier et al., 2011). Für die Kriminalitätsfurcht finden sich hingegen Befunde, die belegen, dass Kriminalitätsfurcht mit erhöhter Punitivität einhergeht (Kemme & Hanslmaier, 2010; Windzio et al., 2007).
Besondere Aufmerksamkeit hat in den zurückliegenden Jahren der Zusammenhang von Medienkonsum und Punitivität erfahren. Empirisch untersucht wurde insbesondere der Einfluss des Fernsehens. Als besonders relevant hinsichtlich der Beeinflussung punitiver Einstellungen erweisen sich dabei boulevardeske TV-Sendungen und Fernsehnachrichten; Befragte, die kommerzielle bzw. private TV-Sender als hauptsächliche Nachrichtenquelle nutzen, sind punitiver eingestellt (Windzio et al., 2007). Nicht allein der Fernsehkonsum, sondern auch das Informationsverhalten in Bezug auf Tages- und Wochenzeitungen scheint einen bedeutsamen Einfluss zu haben: So belegen die Auswertungen von Baier et al. (2011, S. 131), dass ein häufigeres Lesen von Boulevardzeitungen mit höherer Punitivität, ein häufigeres Lesen von deutschlandweiten Qualitätszeitungen mit niedrigerer Punitivität einhergeht. Zudem gilt, dass Menschen, die sich stärker in lokalen bzw. regionalen Medien informieren, ebenfalls eine erhöhte Punitivität aufweisen (u.a. Kleck & Jackson, 2016). Eine Erklärung hierfür dürfte sein, dass sich diese Medien verstärkt auf das Thema Kriminalität konzentrieren. Bislang wenig untersucht ist, inwiefern das Mediennutzungsverhalten im Internet die Punitivität beeinflusst. Insofern die Informationssuche im Internet immer wichtiger wird, besteht hier ein signifikantes Forschungsdesiderat.
Ebenfalls untersucht wurden Zusammenhänge zwischen sozialen und politischen Einstellungen und Punitivität. Konservative Einstellungen gehen demnach mit einer stärkeren Befürwortung punitiver Einstellungen einher (Cochran & Piquero, 2011). Autoritäre Einstellungen erhöhen ebenfalls die Punitivität (Baier et al., 2011). Zudem steht das Misstrauen in Institutionen mit Punitivität in Verbindung (u.a. Messner et al., 2006; Kornhauser, 2013). Simon (2007) geht davon aus, dass Menschen deshalb für härtere Strafen plädieren, weil sie der Meinung sind, dass Kriminalität steigt und den eigenen Lebensstil bedroht, und weil sie kein Vertrauen haben, dass die Regierung und andere Institutionen der formellen Sozialkontrolle Schutz vor Kriminalität bieten.
Einige wenige Untersuchungen liegen zum Konnex von Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit und Punitivität vor. Diese zeigen, dass eine negative Einstellung zu Migrant:innen mit einer erhöhten Befürwortung harter Strafen einhergeht (Hirtenlehner et al., 2016; Kornhauser, 2013). Begründet wird dies damit, dass Fremden eine stärkere Neigung zu Kriminalität unterstellt wird und dementsprechend härtere Strafen gegenüber kriminellen Personen gefordert werden.
Einige der genannten Einflussfaktoren können in der nachfolgenden Analyse punitiver Einstellungen berücksichtigt werden. Allerdings wurde in den Befragungen auf die Erhebung des Medienkonsums verzichtet, weshalb zu diesem Einflussbereich keine Auswertungen präsentiert werden können.
Die nachfolgend vorgestellten Auswertungen basieren auf drei schweizweit repräsentativen Befragungen. Die erste Befragung des Jahres 2018 erfolgte als schriftliche, postalische Befragung in den Monaten Februar und März, die Befragungen des Jahres 2021 und des Jahres 2024 als Online-Befragung in den Monaten Mai und Juni (2021) bzw. Februar (2024). Um zu einer repräsentativen Stichprobe zu gelangen, wurden verschiedene Wege beschritten: Im Jahr 2018 wurden schweizweit per Zufall Adressen gezogen; dies erfolgte durch ein Marketing-Unternehmen, wobei insgesamt 10’749 Adressen bzw. Personen in die Stichprobe einbezogen wurden. In den Jahren 2021 und 2024 wurde auf das Panel des Markt- und Sozialforschungsunternehmens LINK (jetzt: YouGov®) zurückgegriffen, wobei 18’686 Einladungen (2021) bzw. 19’568 Einladungen (2024) verschickt wurden. An der Befragung des Jahres 2018 beteiligten sich letztlich 2’111 Personen, was einer Rücklaufquote von 20,1% entspricht, an der Befragung des Jahres 2021 3’010 Personen (Rücklaufquote 16,1%), an der Befragung des Jahres 2024 insgesamt 2’040 Personen (Rücklaufquote 10,4%). Bei allen Befragungen entsprach die sozio-demografische Zusammensetzung nicht exakt der Zusammensetzung der Grundgesamtheit, weshalb eine Anpassungsgewichtung an die Alters- und Geschlechtsverteilung der Schweizer Bevölkerung erfolgte. Alle hier präsentierten Auswertungen wurden mit gewichteten Daten vorgenommen.
Die sozio-demografische Zusammensetzung der drei Stichproben ist in Tab. 1 dargestellt. Der Anteil männlicher Befragter beträgt in der Stichprobe des Jahres 2018 49,6%, in der Stichprobe des Jahres 2024 51,1%. Das Durchschnittsalter lag in der Befragung des Jahres 2018 mit 49,25 Jahren am höchsten. Allerdings sind die Unterschiede auch ein Resultat unterschiedlich zusammengesetzter Stichproben, insofern 2018 18- bis 85-Jährige, 2021 16- bis 79-Jährige und 2024 16- bis 88-Jährige befragt wurden. Der Anteil an Befragten mit Migrationshintergrund lag 2024 mit 25,4% am höchsten, 2021 mit 16,5% am niedrigsten. Um den Migrationshintergrund zu bestimmen, wurde das Geburtsland und die Staatsangehörigkeit herangezogen; sobald ein Geburtsland ausserhalb der Schweiz oder eine nicht-schweizerische Staatsangehörigkeit (gegebenenfalls zusätzlich zur Schweizer Staatsangehörigkeit) berichtet wurde, wird von einem Migrationshintergrund ausgegangen.
Nur ein kleiner Teil der Befragten gab an, aktuell arbeitslos zu sein; dies traf auf 1,5 bis 2,4% der Befragten zu. Die ökonomische Lage wurde zusätzlich noch mittels einer subjektiven Einschätzung abgefragt. Dabei zeigt sich, dass die Lage von den Befragten des Jahres 2024 am schlechtesten, von den Befragten des Jahres 2018 am besten bewertet wurde. Beantwortet werden sollten dabei folgende zwei Aussagen: «Wie beurteilen Sie Ihre aktuelle wirtschaftliche Lage?» und «Wie kommen Sie in Ihrem Haushalt mit dem Geld zurecht, das Ihnen und Ihrer Familie monatlich zur Verfügung steht?»; die Antwortkategorien reichten von «1 – sehr gut» bis «5 – sehr schlecht». Die Antworten zu den beiden Items korrelieren mindestens zu r = .58 miteinander, sodass eine Mittelwertskala gebildet wurde.
Im Vergleich der Befragungen variiert daneben der Anteil an Befragten, die in städtischen Gebieten ab 20’000 Einwohnerinnen und Einwohnern leben. Die Gemeindegrösse sollte dabei von den Befragten eingeschätzt werden. 2018 berichteten 29,1% der Befragten davon, in städtischen Gemeinden zu wohnen, 2021 waren es 23,5%. Kontinuierlich sinkend ist der Anteil an Befragten, die in den letzten zwölf Monaten einen Lebenspartner oder eine Lebenspartnerin hatten. 2018 bestätigten dies 81,2%, 2024 noch 74,4%; ein Rückgang des Anteils an Personen, die mit einem Lebenspartner oder einer Lebenspartnerin zusammenleben, zeigt sich dabei bei jüngeren (unter 30-Jährigen) und bei 30- bis 59-Jährigen, nicht aber bei älteren Befragten.
Der Anteil an Befragten mit höherer Bildung geht über die Jahre ebenfalls leicht zurück. In der Befragung 2024 gaben 48,0% der Befragten an, dass sie über eine hohe Bildung (Tertiärstufe) verfügen, 52,0% entsprechend über eine mittlere bzw. niedrige Bildung (Sekundarstufe II bzw. obligatorische Schule). Im Jahr 2018 waren es 54,9% der Befragten, die eine hohe Bildung angegeben haben. Der Anteil an Befragten, die in der französisch- bzw. italienischsprachigen Schweiz wohnhaft sind, bleibt über die Jahre hinweg weitestgehend konstant und liegt bei über einem Viertel.
2018 | 2021 | 2024 | |
---|---|---|---|
Geschlecht: männlich in % | 49,6 | 50,9 | 51,1 |
Mittelwert Alter (Minimum – Maximum) | 49,25 (18-85) | 46,80 (16-79) | 45,98 (16-88) |
Migrationshintergrund in % | 22,2 | 16,5 | 25,4 |
Erwerbsstatus: arbeitslos in % | 1,5 | 2,1 | 2,4 |
Mittelwert schlechte ökonomische Lage (1 sehr gut – 5 sehr schlecht) | 2,12 | 2,24 | 2,36 |
Ortsgrösse: ab 20'000 Einwohner in % | 29,1 | 23,5 | 27,3 |
Lebenspartner/Lebenspartnerin: ja in % | 81,2 | 76,0 | 74,4 |
Bildung: hoch in % | 54,9 | 47,4 | 48,0 |
Sprachregion: frz./ital.sprachige Schweiz in % | 29,8 | 28,2 | 28,1 |
In den Befragungen wurde die Punitivität in folgender Form erfasst:
Zustimmung zur Todesstrafe: Zu allen drei Befragungen wurden die Teilnehmenden gebeten, folgende Frage zu beantworten: «Über die Todesstrafe gibt es unterschiedliche Meinungen. Wie denken Sie darüber? Sind Sie grundsätzlich für oder gegen die Todesstrafe?» Als Antwortkategorien standen zur Verfügung «dagegen», «unentschlossen» und «dafür».
Punitivitätsskala: Um über ein weiteres Mass des Strafbedürfnisses zu verfügen, wurde den Befragten in allen Befragungen eine Vier-Item-Skala zur Beantwortung vorgelegt (Antwortvorgaben von «1 – trifft überhaupt nicht zu» bis «5 – trifft voll und ganz zu»1). Die einzuschätzenden Aussagen lauteten: «Bei vielen Tätern hilft gegen erneute Straffälligkeit nur noch Abschreckung durch harte Strafen», «Auf viele Straftaten sollte mit härteren Strafen reagiert werden als bisher», «In den Gefängnissen sollte härter mit den Häftlingen umgegangen werden» und «Harte Strafen sind notwendig, damit andere davon abgehalten werden, Straftaten zu begehen». Die Reliabilität der Skala ist ausreichend (Cronbachs Alpha ≥ .89), weshalb wiederum eine Mittelwertskala berechnet wurde; als Befragte mit punitiven Einstellungen gelten Personen mit einem Mittelwert über 3,00.
Tab. 2 stellt dar, wie sich die punitiven Einstellungen im Zeitverlauf verändert haben. Wird dabei zunächst die Einstellung zur Todesstrafe betrachtet, so zeigt sich, dass der Anteil an Befragten mit expliziter Zustimmung von 20,3 im Jahr 2018 auf 16,8% im Jahr 2024 gesunken ist, wobei im Jahr 2021 der Anteil mit 16,0% geringfügig unter dem Anteil von 2024 lag. Die Entwicklung wird als signifikant ausgewiesen; insbesondere der Anteil des Jahres 2018 liegt signifikant höher als der Anteil der anderen beiden Jahre.2 Abweichend hiervon stellt sich die Entwicklung des Anteils unentschiedener Befragter dar: Lag dieser Anteil 2018 noch bei 17,0%, betrug er 2024 bereits 24,7%. Unentschiedene Befragte, die zumindest teilweise eine positive Einstellung zur Todesstrafe aufweisen, nehmen im Zeitverlauf signifikant zu. Werden beide Anteile zusammengefasst, stimmten 2018 37,3% der Todesstrafe zumindest tendenziell zu, 2024 41,5%. Insofern lässt sich, wie in der Ausgangsthese des Beitrags vermutet, ein Anstieg punitiver Haltungen konstatieren, wenngleich dieser einerseits eher schwach ausfällt und andererseits eher Personen umfasst, die sich zumindest unter bestimmten Umständen für die Todesstrafe aussprechen.
Bei Betrachtung der Punitivitätsskala ergibt sich ein ähnlicher Verlauf: Zwischen 2018 und 2021 kommt es zunächst zu einem signifikanten Rückgang der Punitivität: Der Anteil zustimmender Befragter fällt von 69,9% auf 65,9%. Danach setzt wieder ein leichter Anstieg der Punitivität ein, der aber entsprechend der Befunde als nicht signifikant ausgewiesen wird. Im Jahr 2024 werden anhand der Punitivitätsskala 66,1% der Befragten als (eher) punitiv eingestuft.
2018 | 2021 | 2024 | Testwert | |
---|---|---|---|---|
Todesstrafe: «dafür» in % | 20,3 | 16,0 | 16,8 | χ2 = 17.002, p < .001, 2018/2021, 2018/2024 |
Todesstrafe: «unentschieden» in % | 17,0 | 19,3 | 24,7 | χ2 = 39.934, p < .001, 2018/2024, 2021/2024, |
Punitivitätsskala: Mittelwert | 3,61 | 3,50 | 3,54 | F = 7.262, p < .001, 2018/2021 |
Punitivitätsskala: Zustimmung in % | 69,9 | 65,9 | 66,1 | χ2 = 10.243, p < .01, 2018/2021, 2018/2024 |
Ein interessanter Zusatzbefund ist, dass die Korrelation zwischen beiden Massen der Punitivität über die Zeit hinweg abnimmt. Im Jahr 2018 korrelieren die Zustimmung zur Todesstrafe und zur Punitivitätsskala zu r = .38, 2024 nur noch zu r = .30 (z-Wert = 2,76, p < .01; Korrelation 2021: .34).3 Beide Masse messen also einerseits unterschiedliche Dimensionen der Punitivität, insofern die Korrelationen nur mittelhoch ausfallen; andererseits messen sie zunehmend unterschiedliche Dimensionen der Punitivität. Dies verdeutlicht, dass eine multidimensionale Erfassung punitiver Einstellungen wichtig ist.
Im Vergleich der beiden Erhebungsjahre 2021 und 2024 deutet sich entsprechend der vorgestellten Auswertungen ein leichter Anstieg der Punitivität in der Schweizer Bevölkerung an. Dieser soll im Folgenden noch weiter untersucht werden; prinzipiell wäre natürlich auch der Rückgang im Vergleich der Jahre 2018 und 2021 erklärungsbedürftig. Insofern zwischen beiden Befragungen aber die Methode variiert (postalische Befragung vs. Online-Panel-Befragung), könnten hierfür auch Designeffekte von Bedeutung sein, die sich mit den Stichproben nicht weiter untersuchen lassen.
In Tab. 3 finden sich Ergebnisse verschiedener Regressionsanalysen. Mit Blick auf die Einschätzung zur Todesstrafe wurden binär-logistische Regressionsanalysen berechnet, wobei Befragte unterschieden werden, die gegen die Todesstrafe sind (0) und Beftragte, die unentschieden oder dafür sind (1). Bei der Analyse der Punitivitätsskala kamen OLS-Regressionen zum Einsatz, da eine intervallskalierte Variable die abhängige Variable bildet. Die unabhängigen Variablen sind weitestgehend bereits in der Stichprobenbeschreibung vorgestellt worden. Zusätzlich zu den sozio-demografischen Merkmalen wurden folgende drei Variablen berücksichtigt:
Die kognitive Kriminalitätsfurcht: Hier sollte zu fünf Straftaten auf einer Skala von «1 – nie» bis «5 – sehr oft» angegeben werden, als wie wahrscheinlich man es erachtet, diese in den nächsten 12 Monaten als Opfer zu erleben (u.a. «dass in meine Wohnung/mein Haus eingebrochen wird», «ich auf andere Weise bestohlen werde», «dass ich geschlagen und verletzt werde»). Die Reliabilität dieses Instruments ist ausreichend (Cronbachs Alpha ≥ .85), weshalb eine Mittelwertskala gebildet wurde (Mittelwert über 3,00 = hohe Furcht). Im Jahr 2021 äusserten 19,8% eine eher hohe Kriminalitätsfurcht, im Jahr 2024 13,9% (2018: 11,4%); der Mittelwert der Skala sank von 2,45 auf 2,21.
Der Autoritarismus: Mit Blick auf die Erfassung des Autoritarismus ist das Konzept des «Right-Wing-Authoritarianism» von Altemeyer (1996) grundlegend, das u.a. die Dimensionen der «autoritären Aggression» und der «autoritären Unterwürfigkeit» beinhaltet. Insgesamt wurden drei Items zur Messung dieser beiden Dimensionen des Autoritarismus eingesetzt («Wir sollten dankbar sein für führende Köpfe, die uns genau sagen, was wir tun sollen und was nicht», «Kinder sollten sich den Vorstellungen der Eltern anpassen» und «Um Recht und Ordnung zu bewahren, sollte man härter gegen Randständige (z.B. Obdachlose, Drogenabhängige) und Unruhestifter vorgehen»). Im Zeitvergleich sinkt der Mittelwert der Autoritarismusskala von 2,59 (2021) auf 2,50 (2024) bzw. von 16,3% auf 15,6% (2018: 19,7%) Zustimmung (Antwortvorgaben von «1 – stimmt gar nicht» bis «6 – stimmt völlig»; ab 3,50 Zustimmung).
Die Ausländerfeindlichkeit: Die Erfassung der Ausländerfeindlichkeit erfolgte mit den beiden Items « Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in der Schweiz lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken» und «Es leben zu viele Ausländer in der Schweiz» (Antwortvorgaben wiederum von «1 – stimmt gar nicht» bis «6 – stimmt völlig»). Aus den Antworten wurde der Mittelwert gebildet; zwischen 2021 und 2024 steigt der Anteil ausländerfeindlich eingestellter Befragter von 23,9% auf 27,0% (2018: 30,0%).
Die in Tab. 3 aufgeführten Modelle bestätigen erstens, dass es einen signifikanten Anstieg der Punitivität gibt: Mit Blick auf die Einstellung zur Todesstrafe zeigt sich dies bereits im ersten Modell – durch Berücksichtigung weiterer Variablen wird der Effekt des Erhebungsjahrs auch nicht «wegerklärt». Der signifikante Effekt des Erhebungsjahres bleibt auch nach dem Einbezug weiterer potenzieller Erklärungsfaktoren bestehen. Mit Blick auf die Punitivitätsskala ergibt sich ein signifikanter Effekt erst nach Berücksichtigung weiterer Variablen in Modell III. Vor dem Hintergrund des Rückgangs der Furcht und des Autoritarismus erweist sich der Anstieg der Punitivität also als bedeutsam.4
Zweitens belegen die Auswertungen, dass insbesondere die beiden Faktoren Autoritarismus und Ausländerfeindlichkeit engere Zusammenhänge mit der Punitivität aufweisen. Der Forschungsstand zu diesen beiden Merkmalen wird insofern bestätigt. Weniger bedeutsam, aber dennoch von substanziellem Einfluss erweist sich zudem die Kriminalitätsfurcht. Es lässt sich damit folgern, dass Personen mit stärker ausgeprägter Ausländerfeindlichkeit, mit autoritäreren Einstellungen sowie mit höherer Kriminalitätsfurcht punitiver eingestellt sind, wobei sich dies in der gleichen Weise für die Einstellung zur Todesstrafe wie für die allgemeinen punitiven Einstellungen zeigt.
Für die sozio-demografischen Merkmale ergeben sich schwächere Zusammenhänge, wobei folgende Befunde hervorzuheben sind:
Hohe Bildung ist ein Schutzfaktor punitiver Einstellungen.
In grösseren Städten ab 20’000 Einwohnern sind die Menschen weniger punitiv eingestellt, und dies unter Kontrolle von Bildung und anderen Variablen.
Personen, die mit einem Lebenspartner bzw. einer Lebenspartnerin zusammenleben, äussern punitivere Einstellungen. Möglicherweise ist dies damit erklärbar, dass diese Personen häufiger Kinder haben und die Sorge um deren Sicherheit die Punitivität erhöht.
Männliche Befragte stimmen insbesondere dem Indikator der Todesstrafe signifikant häufiger zu als weibliche Befragte.
Zu den beiden Merkmalen Alter und Migrationshintergrund ergeben sich uneinheitliche Ergebnisse: So sind ältere Befragte zwar häufiger gegen die Todesstrafe; bei der Punitivitätsskala weisen sie aber eine signifikant grössere Zustimmung auf. Personen mit Migrationshintergrund sind entsprechend Modell II (bei beiden abhängigen Variablen) nicht mehr oder weniger punitiv als Befragte ohne Migrationshintergrund. Unter Kontrolle der Variablen in Modell III ergibt sich aber eine höhere Punitivität. Dieser Suppressionseffekt dürfte im Wesentlichen durch die Variable Ausländerfeindlichkeit verursacht sein: Würden Migrant:innen eine vergleichbar hohe Ausländerfeindlichkeit aufweisen wie Schweizer Befragte (was sie nicht tun; sie sind signifikant weniger ausländerfeindlich eingestellt), würde sich bereits in den zweiten Modellen ein Effekt des Migrationshintergrunds zeigen.
Nicht dargestellt in Tab. 3 ist, dass zusätzlich noch für jede abhängige Variable ein viertes Modell berechnet wurde, in dem Interaktionsvariablen zwischen dem Erhebungsjahr und den verschiedenen Einflussfaktoren berücksichtigt wurden. Damit wurde die Frage geprüft, ob sich die Stärke des Einflusses eines Merkmals im Zeitverlauf geändert hat. Von den insgesamt 24 Interaktionseffekten (12 unabhängige Variablen ohne Variable «Erhebungsjahr», zwei abhängige Variablen) finden sich nur zwei signifikante (p < .05) Interaktionsvariablen. Insofern kann gesagt werden, dass sich der Einfluss der meisten berücksichtigten Faktoren über die Jahre nicht verändert hat.5
Todestrafe: unentschieden bzw. dafür | Punitivitätsskala | |||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Modell I | Modell II | Modell III | Modell I | Modell II | Modell III | |||||||
Befragungsjahr: 2024 (Referenz: 2021) | 1.091 | *** | 1.087 | *** | 1.112 | *** | .03 | .03 | .04 | *** | ||
Geschlecht: männlich | 1.340 | *** | 1.187 | * | .04 | ** | -.01 | |||||
Alter | 0.988 | *** | 0.984 | *** | .07 | *** | .05 | *** | ||||
Migrationshintergrund | 1.124 | 1.500 | *** | .02 | .06 | *** | ||||||
Erwerbsstatus: arbeitslos | 0.970 | 1.064 | -.03 | -.02 | ||||||||
schlechte ökonomische Lage | 1.293 | *** | 1.116 | * | .07 | *** | -.01 | |||||
Ortsgrösse: ab 20'000 Einwohner | 0.684 | *** | 0.826 | * | -.10 | *** | -.04 | *** | ||||
Lebenspartner/Lebenspartnerin: ja | 1.293 | *** | 1.246 | ** | .06 | *** | .04 | ** | ||||
Bildung: hoch | 0.554 | *** | 0.656 | *** | -.18 | *** | -.10 | *** | ||||
Sprachregion: frz./ital.sprachige Schweiz | 1.277 | *** | 1.483 | *** | .05 | ** | .07 | *** | ||||
kognitive Kriminalitätsfurcht | 1.219 | *** | .12 | *** | ||||||||
Autoritarismus | 1.357 | *** | .21 | *** | ||||||||
Ausländerfeindlichkeit | 1.630 | *** | .34 | *** |
In diesem Beitrag wurde eine spezifische Dimension der Punitivität untersucht: die punitiven Einstellungen der Bevölkerung. Punitivität zeigt sich daneben ebenso u.a. im Sanktionsverhalten der Gerichte, in den Gefangenenzahlen, in medialen Diskursen über Kriminalität usw. Die vorgestellten Analysen erlauben daher nur eine partielle Einschätzung darüber, wie sich Punitivität in der Schweiz entwickelt hat. Studien zu weiteren Dimensionen der Punitivität sind daher zweifellos wünschenswert. Mit den vorgestellten repräsentativen Befragungsdaten zeigt sich erstens zwischen 2018 und 2021 zunächst ein signifikanter Rückgang punitiver Einstellungen, danach ein leichter, aber ebenfalls signifikanter Anstieg von 2021 auf 2024. Dies bestätigt den «expressive approach»: Anscheinend haben die verschiedenen gesellschaftlichen Herausforderungen und Unsicherheiten der letzten Jahre auch zur Folge, dass ein härteres Vorgehen gegen Straftäter:innen gefordert wird.
Herangezogen wurden zwei allgemeine Indikatoren der Punitivität, die Einstellung zur Todesstrafe und eine vier Items umfassende Skala. Ob sich auch mit anderen Indikatoren vergleichbare Entwicklungen zeigen würden, bleibt offen. Staubli und Fink (2021) haben Vignetten ausgewertet, mit dem ambivalenten Befund, dass sich Befragte seltener für Gefängnisstrafen aussprechen – diejenigen, die es aber tun, verlangen längere Strafen: «Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Vignette der Vergewaltigung, wo zwischen 2007 und 2015 eine Zunahme um mehr als 50% in der Dauer der ausgesprochenen Haftstrafe zu beobachten ist. Dies bestätigt den Trend hin zu einer Nulltoleranz, gepaart mit dem Wunsch nach einem Nullrisiko bei Gewalt- und Sexualdelikten» (Staubli & Fink, 2021, S. 165). Dieser Trend zeigt sich auch in den vorgestellten Analysen, wenngleich die Veränderung deutlich schwächer ausfällt als zur Vergewaltigungs-Vignette bei Staubli und Fink (2021). Zu vermuten ist, dass Befragte bei der Beantwortung des Todesstrafe-Items oder der Items der Punitivitätsskala eher an Sexual- und Gewaltstraftäter:innen denken und weniger an Tatpersonen der Eigentumskriminalität – und gerade gegenüber Sexual- und Gewaltstraftäter:innen verändert sich das gesellschaftliche Klima in Richtung Nulltoleranz.
Neben der Entwicklung der punitiven Haltungen erscheint zudem ein Wort zum Niveau dieser Einstellungen notwendig: Obwohl die Schweiz laut internationalen Studien ein niedriges Punitivitätsniveau aufweist (van Kesteren, 2009), gilt doch zugleich entsprechend der Befunde, dass etwa vier von zehn Personen in der Schweiz die Todesstrafe als Sanktion nicht kategorisch ausschliessen; zwei Drittel der Menschen sprechen sich pauschal für eine härtere Gangart gegenüber Straftäter:innen aus. Politische Akteur:innen können dieses Potenzial gezielt mit Forderungen nach härteren Strafen ansprechen und Abstimmungen zu punitiveren Massnahmen mit einer gewissen Erfolgsaussicht lancieren – was im Übrigen in der Vergangenheit auch schon geschehen ist. Diese Massnahmen werden gewöhnlich aus wissenschaftlicher, evidenzbasierter Sicht kritisch betrachtet. Es scheint insofern geboten, die Bevölkerung der Schweiz noch besser darüber zu informieren, welche Formen des Strafens tatsächlich wirksam sind und welche nicht. Eine punitive Meinungskultur kann im schlechtesten Fall eine effektive, resozialisierende Arbeit deutlich erschweren.
Die Auswertungen zu den Einflussfaktoren bestätigen zuletzt im Wesentlichen die Befunde der bisherigen Forschung. Zwei entscheidende Limitationen bestehen insofern, als es sich um Auswertungen von Querschnittsdaten handelt, Aussagen zu Ursachen also nicht möglich sind, und dass verschiedene Einflussbereiche, insbesondere der Medienkonsum, nicht betrachtet werden konnten. Strafharte Einstellungen gehen den Ergebnissen entsprechend mit erhöhter Ausländerfeindlichkeit und erhöhtem Autoritarismus einher. Dies lässt die Vermutung zu, dass gemeinsame, die Persönlichkeit betreffende Hintergrundfaktoren wie Weltbilder, Werthaltungen oder andere Merkmale wie Rigidität und Konservatismus für eine Art Syndrom von Haltungen, wie sie bspw. bei der Punitivität oder der Ausländerfeindlichkeit zum Ausdruck kommen, verantwortlich sind. Das Ursache-Wirkungs-Verhältnis der hier identifizierten Einflussfaktoren bedarf insofern noch weiterer Studien. Daneben erweist sich höhere Bildung als Schutzfaktor, Kriminalitätsfurcht als Risikofaktor punitiver Einstellungen. Beide Faktoren geben Hinweise darauf, wie punitive Einstellungen in der Gesellschaft reduziert werden können, einerseits durch Zugang zu höherer Bildung und damit auch zu mehr Wissen, alternativen Sichtweisen usw., andererseits durch Adressierung der Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung, für die mediale Diskurse ebenso von Bedeutsamkeit sind wie eigene Erfahrungen im Wohnumfeld oder im weiteren öffentlichen Raum.
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