In Zusammenarbeit haben sich Andreas Naegeli und Ueli Hostettler über viele Jahre hinweg mit vielfältigen Fragestellungen im Justizvollzug auseinandergesetzt. Ihre unterschiedlichen Hintergründe – Praxis und Forschung – eröffneten komplementäre Perspektiven, wobei wissenschaftliche Erkenntnisse wiederholt wertvolle Impulse für die praktische Arbeit lieferten. Besonders intensiv haben sich die beiden mit dem Gefängnisklima und dessen Auswirkungen auf Resozialisierung, Wiedereingliederung und das Wohlbefinden der Inhaftierten befasst.
Zentrale Überzeugung war stets: Die Inhaftierten sollen sich verändern können und das Gefängnis soll ihnen den Rahmen dazu bieten.
Es war wohl im Jahr 2006, als ich Ueli Hostettler erstmals begegnet bin. Er hat mich in der JVA Wauwilermoos besucht, um im Auftrag des Strafvollzugskonkordats der Nordwest- und Innerschweiz die Frage zu klären, inwieweit ein arbeitsagogisches Angebot im offenen Strafvollzug eine Anpassung des Kostgeldansatzes rechtfertigen kann. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir in meinem Büro aus unterschiedlichen Perspektiven das Thema erörtert haben. Er mit der Betrachtung des Forschers von aussen, ich mit dem Blick des Praktikers von innen. Uns beiden war schon damals gemein, dass uns die Themen rund um den Freiheitsentzug gepackt haben und wir uns für eine Weiterentwicklung einsetzen wollten. Dies für die eingewiesenen Personen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes.
Es waren in der Folge zahlreiche andere Gelegenheiten in einer grossen Vielfalt von Themen, bei denen ich mit Ueli Hostettler zu tun hatte. Es ist sehr eindrücklich, zu welchen Praxisfragen er uns Antworten geben konnte. Für mich am prägendsten sind seine Langzeituntersuchungen zu den Mitarbeitenden im Justizvollzug, zum Gefängnisklima und zur Situation von besonders vulnerablen Gruppen von Eingewiesenen. Das sind die Verwahrten, die Alten und damit verbunden die sehr anspruchsvollen Fragen zu Krankheit, Lebensende und Sterben. Gerne habe ich ihm und seinen Forschenden dafür auch Zugang zur Praxis in den von mir geleiteten Institutionen ermöglicht.
An einer Frage haben wir beide besonderes Interesse entwickelt: Am Gefängnisklima und wie dieses das Zusammenleben und die Resultate im Freiheitsentzug beeinflusst. Nach vielen Jahren in der Praxis bin ich überzeugt, dass dies in den Institutionen der Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung unseres Auftrags ist. Daher möchte ich nachfolgend einige Gedanken zur Frage teilen, wie sich Strafgefangene positiv verändern können und was ihnen dabei hilft.
Zur Ausgangslage: Nur sehr wenige Menschen, die verurteilt werden, kommen schlussendlich in ein Gefängnis. Von hundert kommt etwa eine Person in den Freiheitsentzug (Bundesamt für Statistik, 2024). Das sind dann die eher schwierigeren Fälle. In den geschlossenen Justizvollzugsanstalten der Schweiz sind folglich auch knapp über die Hälfte wegen eines Gewalt- oder Sexualdelikts eingewiesen.
Die Risikofaktoren für eine Straffälligkeit sind sehr unterschiedlich. Die zentralen sind mit den «Central Eight» (Andrews & Bonta, 2024, S. 45 f.) treffend beschrieben: Die Persönlichkeit, die Vorgeschichte, die Kognitionen, der Substanzkonsum, das soziale Umfeld, die Familie und die Partnerschaft, die Schulbildung und die Arbeitssituation und das Freizeitverhalten haben zentralen Einfluss darauf, ob jemand straffällig wird oder sich bewährt.
Die Problemstellungen bei den eingewiesenen Personen sind sehr verschieden, ihnen ist aber gemeinsam, dass sie in schwerwiegender Weise gegen Gesetze verstossen haben. Dabei wurde anderen Menschen auch (grosses) Leid zugefügt. Den Opfern, deren Angehörigen, aber auch dem eigenen Umfeld. Es braucht also Veränderung, um nicht wieder in die gleiche Situation zu geraten, und der Änderungsbedarf ist sehr unterschiedlich: Manchmal geht es um Abstand vom bisherigen Leben oder von einem Lebensstil in einem kriminellen Umfeld, manchmal braucht es die Vertiefung von prosozialen Kontakten, allenfalls den Weg aus der Sucht, die Annahme von Unterstützungsangeboten oder die Bereitschaft, künftig «kleinere Brötchen zu backen» oder sich durch schulische oder berufliche Bildung weiterzuentwickeln und damit das «Rüstzeug» für einen Neustart zu erlangen.
Mit der Einsicht in das begangene Unrecht als Grundlage für eine Veränderung – sozusagen als IST-Analyse oder Problemerkennung – und mit dem Ziel, zielgerichtet an sich zu arbeiten, wird der Anfang gemacht. Dann muss eine intensive Auseinandersetzung mit der persönlichen Disposition oder sogar einer psychischen Störung oder Erkrankung folgen – dies unterstützt durch entsprechende Therapien, Lernprogramme oder sozialarbeiterische Gespräche.
Unseren gesetzlichen Auftrag, gemäss Art. 75 Abs. 1 StGB «… das soziale Verhalten des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben…», nehmen wir im Justizvollzug sehr ernst: Wir arbeiten auf eine erfolgreiche Wiedereingliederung hin, und das ist oft eine schwierige Aufgabe.
Denn es ist ja allgemein schwierig, sich als erwachsene Person zu verändern und Gewohnheiten loszulassen. Wie viele Male haben wir uns vorgenommen, mit dem Rauchen aufzuhören, mehr Sport zu treiben, weniger Dessert zu essen? Diese Schwierigkeit ergibt sich auch bei Straftäter:innen, wo der Veränderungsbedarf ja noch grösser ist und die Folgen schwerwiegender sind. Aber man kann sich verändern, in vielen Fällen auch ohne Therapie. Weil Menschen eben nachreifen, älter werden und sie in den Institutionen des Justizvollzugs gut behandelt werden.
Für die Veränderung braucht es aber die innere Bereitschaft, es anders zu machen. Man kann sich nur selbst ändern. Das ist harte Arbeit und braucht Reflexionsvermögen, Ausdauer und Frustrationstoleranz und vielleicht auch die eine oder andere Ermutigung. Notwendig ist auch ein stufenweises Vorgehen mit Erprobungsfeldern und der Möglichkeit, zu scheitern und es wieder neu zu versuchen.
Um mit diesem Veränderungsprozess möglichst erfolgreich zu sein, ist auch das Umfeld von entscheidender Bedeutung. Dabei ist Kritik am Gefängnis sicher angebracht: Bietet es die nötigen Bedingungen und Voraussetzungen, damit eine Veränderung erfolgen kann? Es ist ja wie ein Schwimmbecken ohne Wasser, also ein Umfeld, wo man in Unfreiheit auf ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit vorbereitet wird. Dazu kommen auch noch die ungünstigen Einflüsse durch ein Kollektiv, welches sich durch eine negative Selektion ergibt: So sind wir teilweise schon froh, wenn die Gefangenen nicht schlechter aus dem Gefängnis herauskommen, als sie hereingekommen sind.
Diesen ungünstigen Umständen muss mit der bewussten Pflege des Gefängnisklimas begegnet werden. Unter dem Gefängnisklima verstehen wir das erlebte Gesamte der materiellen, sozialen und emotionalen Gegebenheiten einer Institution (Schalast & Groenewald, 2009, S. 329). Es beschreibt die Interaktion zwischen den Gefangenen und dem Personal sowie die allgemeine Gefühlslage innerhalb der Institution. Das Gefängnisklima beeinflusst sowohl die Lebensbedingungen der Gefangenen als auch die Arbeitsumstände des Personals und kann einen erheblichen Einfluss auf die Resozialisierung, die Wiedereingliederung und das Wohlbefinden der Inhaftierten haben. Es gibt zahlreiche Studien (Crewe et al., 2014; Day et al., 2011; Harding, 2014; Ross et al., 2008; Schubert et al., 2012; Chen, 2007), die belegen, dass Veränderung zum Guten in einem entspannten, kooperativen Klima, wo das Personal für die Eingewiesenen präsent und erreichbar ist, besser gelingt. Hier spielt auch der Aspekt der «Prozeduralen Gerechtigkeit» bzw. des Empfindens, korrekt behandelt worden zu sein, eine wichtige Rolle (Jackson & Tyler, 2010; Walters & Bolger, 2019).
Entscheidenden Einfluss haben die Unterstützung und das Vorbild durch «Professionelle», also die Mitarbeitenden in den Institutionen, der Betreuung, der Sozialarbeit, der Beschäftigung, der Therapie, der Bildung und der Seelsorge. Diese müssen auch, ohne dabei naiv zu sein, an die ihnen anvertrauten Menschen mit einem Veränderungswillen glauben und nicht alles nur risiko- und defizitorientiert betrachten. Aber selbstverständlich braucht es auch Unterstützung von aussen, durch ein prosoziales Umfeld.
So können Veränderungen tatsächlich gelingen, ungute Kreisläufe durchbrochen werden und in manches Leben realistische Zukunftsaussichten einkehren. Es braucht von uns allen aber die Bereitschaft, hier den erforderlichen Aufwand zu betreiben und mit den notwendigen Erprobungsfeldern auch gesellschaftliche Risiken auszuhalten. So erhalten straffällig gewordene Menschen eine Chance, sich zu entwickeln und zu bewähren, was sich in den allermeisten Fällen auch lohnt.
Lieber Ueli, deine grosse Arbeit hat Spuren hinterlassen! Du hast dich dabei ganz besonders den zentralen Themen des Justizvollzugs angenommen. Dabei warst du sehr sorgfältig, hochverlässlich, hast gut zugehört und konntest mit deinem Erfahrungsschatz und deinem passend gewählten Vorgehen viele praxisrelevante Antworten liefern.
Für die immer angenehme Zusammenarbeit, die fachliche Anregung und die vielen für die Praxis relevanten Resultate möchte ich dir herzlich danken. Du hast uns alle weitergebracht!
Ich wünsche dir, auch im Ruhestand, nur das Beste!
Herzlich,
Andreas Naegeli, Direktor JVA Pöschwies
Andrews, D. A., & Bonta, J. (2024). The psychology of criminal conduct (7. Aufl.). Anderson Publishing.
Bundesamt für Statistik. (2024). Vollzug von Sanktionen im Jahr 2023.
Chen, M. K. (2007). Do Harsher Prison Conditions Reduce Recidivism? A Discontinuity-based Approach. American Law and Economics Review, 9(1), 1-29.
Crewe, B., Liebling, A., & Hulley, S. (2014). Heavy–light, absent–present: rethinking the ‘weight’ of imprisonment. The British Journal of Sociology, 65, 387-410.
Day, A. Casey, S., Vess, J., & Huisy, G. (2011). Assessing the social climate of Australian prisons. Trends & issues in crime and criminal justice no 427. Canberra: Australian Institute of Criminology.
Harding, R. (2014). Rehabilitation and prison social climate: Do ‘What Works’ rehabilitation programs work better in prisons that have a positive social climate? Australian & New Zealand Journal of Criminology, 47(2), 163-173.
Jackson, J., & Tyler, T. R. (2010). Legitimacy and procedural justice in prisons. Prison Service Journal, 191, 4-10.
Ross, W. Diamond, P. M., Liebling, A., & Saylor, W. G. (2008). Measurement of prison social climate: A comparison of an inmate measure in England and the US. Punishment & Society, 10(4), 447-474.
Schalast, N., & Groenewald, l. (2009). Ein Kurzfragebogen zur Einschätzung des Sozialen Klimas im Strafvollzug - Erste Befunde auf Abteilungen des Regelvollzugs und der Sozialtherapie. In R. Haller & J. Jehle (Hrsg.), Drogen - Sucht – Kriminalität (S. 329-352). Forum Verlag Godesberg.
Schubert, C. A., Mulvey, E. P., Loughran, T. A., & Losoya, S. H. (2012). Perceptions of institutional experience and community outcomes for serious adolescent offenders. Criminal Justice and Behavior, 39(1), 71-93.
Walters, G. D., & Bolger, P. C. (2019). Procedural justice perceptions, legitimacy beliefs, and compliance with the law: A meta-analysis. Journal of Experimental Criminology, 15(3), 341-372.