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doi.org/10.36950/edv-umb-2025.13
Marcel Ruf

Daten die bleiben: Ein Abschied von Ueli Hostettler

Abstract

Der Beitrag reflektiert zwei Jahrzehnte kollegialer Zusammenarbeit zwischen Marcel Ruf, Direktor der JVA Lenzburg, und Ueli Hostettler. Im Mittelpunkt stehen persönliche Erinnerungen, fachlicher Austausch und ein gemeinsames Interesse an historischen, forschungsbezogenen und justizvollzugsnahen Themen. Mit Anekdoten und Reflexionen würdigt der Text Hostettlers Engagement.

Ein persönlicher Rückblick

Vor rund zwanzig Jahren hatte ich in meiner beruflichen Tätigkeit als Direktor der Justizvollzugsanstalt Lenzburg mit Ueli Hostettler zum ersten Mal Kontakt. Daraus ergaben sich viele weitere, spannende Begegnungen, die von Rupperswil über Sinaloa und weiter bis nach Tokyo reichten.

Wir haben uns, wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich lässt, im Jahr 2005 erstmals in der JVA Lenzburg unterhalten und gegenseitig kennengelernt. Mit Ueli kann man sich zu den verschiedensten Themen des Justizvollzugs intensiv austauschen und sei es noch so ein kleines Thema, wie im Jahre 2006 die Umbenennung von «Strafanstalt» in «Justizvollzugsanstalt (JVA)». Der Austausch über all die Jahre umfasste die Themenfelder «Hochsicherheit», «Verwahrung», «Soziale Arbeit im Justizvollzug», «Alter und Gefängnis» oder auch «Mitarbeiterzufriedenheit im Justizvollzug». Unter vielen anderen Publikationen ist mir die Studie «Lebensende im Gefängnis – Rechtlicher Kontext, Institutionen und Akteure», die er mit seinem Forscherteam im Jahr 2015 erstellte, in bester Erinnerung (Hostettler et al., 2016).

In den gemeinsamen Gesprächen schweiften wir gelegentlich etwas vom eigentlichen Thema ab. Aber dies machte die Gespräche umso interessanter.

Als wir über die Verlegung von Gefangenen ins Ausland zwecks Strafverbüssung diskutierten (Bau von Anstalten im Ausland), stellten wir fest, dass dies keine neue Idee wäre. Bereits vor über 450 Jahren wurde dies in der Schweiz praktiziert. So wurde im Jahr 1573 ein Hans Zobrist aus Rupperswil im Aargau wegen Pferdediebstahls zu zehn Jahren Galeerenstrafe verurteilt – ein Urteil, das der Todesstrafe in Raten gleichkam. Man nannte die Strafe auch den «Bürgerlichen Tod». Aber nicht die Berner selbst hatten im Mittelmeer Kriegsgaleeren, sondern der Kanton Bern hatte ein Abkommen mit dem Herzog von Savoyen. Ein Outsourcen von Ruderern, sprich Gefangenen, zu wahrlich «festen» Vollzugsbedingungen. Ein faszinierender, aber auch erschreckender Gedanke: da sitzt ein Mann aus Rupperswil neben hunderten Fremden und rudert in einer Galeere von Savoyen, unter der Fahne Venedigs, in der Meerenge der Dardanellen gegen die Türken. Diese Verlegung von Straftätern ins Ausland wurde bis Anfang des 19. Jahrhunderts praktiziert.

Aber auch über internationale Krisengebiete und Straftäter:innen unterhielten wir uns. Da Ueli sich privat ab und zu in Mexiko aufhält, kamen wir auf die Bücher von Don Winslow sowie Joaquín Archivaldo Guzmán, der besser bekannt ist als «El Chapo», zu sprechen. El Chapo war dazumal mehrmals aus Gefängnissen in Mexiko ausgebrochen, bis er an die Vereinigten Staaten von Amerika ausgeliefert wurde.

Auch beim Thema «Alter und Sterben im Gefängnis» haben wir oft die Klingen gekreuzt, da ich den Verwahrungsvollzug mit seiner Hoffnungslosigkeit mit dem Aufenthalt in den Alters- und Pflegeheimen verglich. Diesbezüglich konnte ich vor wenigen Wochen von japanischen Vertretern des Justizvollzugs erfahren, dass in Japan alleinstehende, ältere Menschen immer öfters Delikte begehen, damit sie durch einen Gefängnisaufenthalt der Altersarmut und Einsamkeit entkommen können.

In den letzten rund zehn Jahren konnten wir als Anstaltsdirektor:innen von der Forschungsarbeit profitieren, da Ueli akribisch mehrmals die Mitarbeitenden zu ihrem Arbeitsalltag befragte. Auch wenn manchmal eine gewisse Sättigung betreffend Umfragen festzustellen war, kämpfte Ueli immer um jeden einzelnen ausgefüllten Fragebogen. Die Resultate zeigten die konkordatlichen Unterschiede und die Handlungsfelder für Verbesserungen auf.

Und nun, nach vielen Jahren engagierter Forschung und Lehre in den Bereichen Strafrecht und Kriminologie und damit zusammenhängenden Umfragen in diesen sozialen Feldern, zieht sich Ueli in den wohlverdienten Ruhestand zurück. Ein Abschied, der sowohl Freude über die gemeinsamen Gespräche als auch Bedauern über den Verlust eines geschätzten Fachmannes mit sich bringt.

Ueli hat in seiner Karriere nicht nur die oben genannten Fachgebiete mitgeprägt, sondern auch zahlreiche Studierende inspiriert und gefördert. Seine Leidenschaft für empirische Forschung und sein tiefes Verständnis für die sozialen Zusammenhänge haben uns alle bereichert. Durch seine fortschrittlichen Ansätze in der Umfrageforschung hat er nicht nur die Methodik weiterentwickelt, sondern auch die Anwendung seiner Erkenntnisse in der Praxis gefördert.

Für mich im Speziellen werden sein Engagement und seine Menschlichkeit stets in allerbester Erinnerung bleiben. Lieber Ueli, ich wünsche dir für die Zukunft alles Gute, viele spannende Reisen und neue Abenteuer. Mögest du ruhig und gelassen bleiben und mit einem Kajak – und nicht in einer Galeere sitzend – im Golf von Mexiko (not America!) dem Sonnenuntergang entgegenpaddeln.

Apropos Galeere: Da diese Anfang des 19. Jahrhunderts – den Segel- und Dampfschiffen sei Dank – nicht mehr benötigt wurden, mussten aus eidgenössischer Sicht, mangels Zellenplätzen (es wiederholt sich alles im Leben), neue Strategien erarbeitet werden. Die Idee eines gesamtschweizerischen Zentralgefängnisses wurde geboren. Als Standort für dieses «Central Prison» sollte das Schloss Chillon dienen. Die Gefangenen wären dabei als Ruderer für den Material-, Post- und Personentransport zwischen Genf und Villeneuve/Montreux eingesetzt worden. Das Schloss Chillon selbst wurde ab 1894 nicht mehr als Gefängnis verwendet.

Literatur

Hostettler, U., Marti, I., & Richter, M. (2016). Lebensende im Justizvollzug. Stämpfli.