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doi.org/10.36950/edv-umb-2025.16
Frank Wilde u. a.

Menschen(un)würdig Altern im Gefängnis

Abstract

Mit der Alterung der Gesellschaft verändern sich auch die Gefängnispopulationen – und stellen den Strafvollzug vor neue, bislang wenig beachtete Herausforderungen. Der Beitrag beleuchtet die Lebenslagen älterer Inhaftierter, ihre spezifischen Bedürfnisse sowie die strukturellen Barrieren, auf die sie in einem auf junge Männer ausgerichteten Vollzugssystem treffen. Themen wie Pflegebedarf, soziale Isolation, fehlende altersgerechte Angebote oder das Sterben im Vollzug zeigen deutlich, dass grundlegende strukturelle Anpassungen notwendig sind. Gefordert wird ein evidenzbasierter kriminalpolitischer Diskurs, der sowohl Einbindung als auch Selbstbestimmung für ältere Gefangene ins Zentrum stellt. Die Forschungsarbeiten von Ueli Hostettler und der Prison Research Group haben hier wichtige Impulse gesetzt – für eine Praxis, die Altern und Menschenwürde auch hinter Mauern ernst nimmt.

Die älteren Gefangenen im Strafvollzug

Die englische Comedy-Truppe Monty Python hat es schon Anfang der 70er Jahre vorausgesagt: Irgendwann werden ‚die Alten’ so in der Überzahl sein, dass sie auch die Strassenkriminalität dominieren. In dem Film «Hell's Grannies» aus der Serie «Flying Circus» sieht man ältere Damen, die mit Handtaschen auf Jüngere einschlagen, und Angst und Schrecken auf den Straßen verbreiten. Von solchen Zuständen sind wir heute weit entfernt. Gleichzeitig macht der demografische Wandel keine Pause. In Deutschland gibt es inzwischen fast doppelt so viele 60-Jährige wie 6-Jährige (Statistisches Bundesamt, 2024). Der demographische Wandel hat Einfluss auf ganz unterschiedliche Systeme: So auch auf die Strafrechtspraxis.

In Deutschland ist die Anzahl der inhaftierten Personen, die sechzig Jahre oder älter sind, in den letzten zwanzig Jahren um 45% angestiegen.1 Deutlich stärker ist der Anstieg bei den älteren Menschen in Sicherungsverwahrung. Hier hat sich die Zahl der über 60-Jährigen allein in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Damit gehört mittlerweile jeder dritte Sicherungsverwahrte zu dieser Gruppe.

Auch in der Schweiz lässt sich diese Entwicklung nachverfolgen. So ist die Anzahl Gefangener über sechzig Jahre von 1984 bis 2021 um das Fünffache gestiegen (Isenhardt et al., 2023, S. 166). Und es wird prognostiziert, dass die Alterung der Gefängnispopulation weiter fortschreiten wird (Stroezel & Urwyler, 2022).

Dieses Phänomen ist nicht spezifisch für den deutschsprachigen Bereich, sondern wird aus vielen Ländern mit teils drastischen Zunahmen berichtet (z. B. Australien: Ginnivan et al., 2022, S. 326 f.; Japan: Suzuki & Otani, 2023; UK: Turner et al., 2018, S. 161 f.; USA: Kheirbek & Beamer, 2022, S. 149 f.). Diese Zunahme lässt sich nicht nur durch die demographische Entwicklung erklären. Vielmehr muss hier auch eine zunehmend punitiver werdende Sanktionierungspraxis bei bestimmten Delikten bzw. Personenkreisen und bei der ebenfalls zunehmend restriktiven Entlassungspraxis in den Blick genommen werden. Konkret zu nennen sind beispielsweise die Entfristung der Sicherungsverwahrung (Bereswill & Neuber, 2023, S. 193) oder die Aufhebung der Verjährung bei Sexualdelikten und die Tendenz zu lebenslänglichen Verwahrungen (Richter et al., 2023, S. 209). Parallel dazu führt eine verbesserte medizinische Versorgung dazu, dass die Hürden für eine Entlassung aufgrund einer Vollzugsuntauglichkeit sukzessive erhöht werden (Laubenthal, 2015, S. 135).

Folgen für den Strafvollzug

Mit einer alternden Gefängnispopulation verändern sich die Anforderungen an den Strafvollzug. Marti, Hostettler und Richter (2017) sprechen von einer Erweiterung der institutionellen Logiken von Verwahrung und Resozialisierung, die sich insbesondere durch zunehmende Fürsorgepflichten ergibt. Alte, kranke und sterbende Gefangene haben physische und psychosoziale Bedarfe, die das System vor spezifische Herausforderungen stellen. Dies gilt für die Rahmenbedingungen in der Haftanstalt, aber auch für die Beziehungen der älteren Menschen zu den Mitgefangenen und zum Personal (Neuber & Zahradnik, 2023, S. 97 ff.).

Die Rahmenbedingungen verändern sich insofern, als ältere Gefangene im Vollzugsalltag seltener ein Sicherheitsproblem darstellen (Gaynes et al., 2018). Gleichzeitig brauchen sie mehr als nur die Verwahrung. Dies gilt zwar auch für die Jüngeren, aber die Bedarfe älterer Inhaftierter unterscheiden sich ganz entscheidend in Qualität und Quantität von den Bedarfen der jüngeren Mitgefangenen. Ältere Menschen haben beispielsweise einen höheren Bedarf an einem aktivierenden Alltag, um die durch die Inhaftierung stark eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten und den damit einhergehenden beschleunigten Alterungsprozess zu minimieren (Kaiksow et al., 2023). Auch das klassische Vollzugsziel der Resozialisierung muss anders gedacht werden, da das Hauptinstrument Arbeit (Schule, Ausbildung, Lohnarbeit) bei den meisten nicht mehr im Vordergrund stehen kann (Kenkmann et al., 2022).

Auch das Verhältnis zu den Mitgefangenen verändert sich. Ältere Gefangene ziehen sich mehr aus dem Haftalltag zurück. Sie beteiligen sich weniger am Kampf um Hierarchien und konsumieren auch weniger Drogen (Avieli, 2023, S. 2). Vielmehr benötigen sie Unterstützung und Hilfe, die im Normalvollzug nicht immer gewährleistet ist. Dies betrifft insbesondere Fragen der Mobilität und Alltagsbewältigung (z.B. Ankleiden, Waschen, Haftraumreinigung), wofür in anglosächsischen Ländern Mitgefangene als Peer-Unterstützung ausgebildet und eingesetzt werden (Stewart & Prost, 2024). Diese Formen der ‚Nachbarschaftshilfe‘ und Solidarität können einerseits als pragmatischer Umgang mit fehlender professioneller Unterstützung verstanden werden (Wilde & Krickmeyer, 2022, S. 302). Andererseits besteht hier die Gefahr von Abhängigkeiten und Machtmissbrauch.

Aber auch das Personal im Vollzug ist herausgefordert, wenn Menschen hilfebedürftig werden und veränderte Bedürfnisse von Nähe entwickeln (Baas & Schmitt, 2020, S. 489). Diesem Bedürfnis wird von den Bediensteten im Justizvollzug zum Teil nicht entsprochen, Selbstschutz und Sicherheit stehen weiterhin im Vordergrund und auf die spezifischen Bedürfnisse älterer Inhaftierter wird nur begrenzt eingegangen (Neuber & Zahradnik, 2023, S. 100). Gleichzeitig gibt es jedoch Hinweise darauf, dass sich trotz der vorherrschenden Sicherheitsorientierung in unterschiedlichem Maße fürsorgliche Beziehungsarrangements entwickeln können. «Deutlich wird, dass Fürsorge im Vollzug nicht verankert ist, aber stattfindet. Das ist mit Ambivalenzen und Spannungen in der Institution verbunden» (Neuber & Zahradnik, 2023, S. 103). Der Begriff «Institutional Thoughtlessness» (Crawley, 2005, S. 356), der sich in den Fachdiskussionen etablieren konnte, meint genau diese fehlende Anpassung institutioneller Strukturen an die Bedarfe der sich verändernden Gefängnispopulation.

In Würde altern – auch im Strafvollzug?

Außerhalb des Justizvollzugs ist die Politik für Senior:innen ein wichtiges Thema. Ziel ist es hier, dass ältere Menschen möglichst lange in ihrer eigenen Wohnung in altersgemischten Quartieren in Stadt und Land leben können und nicht zentral in Alten- und Pflegeheimen untergebracht werden müssen. Um dies zu ermöglichen, bedarf es jedoch des politischen Willens und vielfältiger Angebote und Maßnahmen. So ist in den Leitlinien der Berliner Senior:innenpolitik als Ziel formuliert, ältere Menschen zu fördern, um ihnen eine gleichberechtigte und vielfältige gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen (SenIAS Berlin, 2021, S. 11). Hierzu werden sowohl die Stadtentwicklung als auch die Schaffung einer gesundheitlichen und pflegerischen Infrastruktur genannt, um es älteren Menschen zu ermöglichen, in «Würde zu altern, sich als zugehöriger Teil der Stadtgesellschaft zu fühlen und ein selbstständiges und selbstverantwortliches Leben zu führen» (SenIAS Berlin, 2021, S. 11).

Ältere Menschen benötigen auch, aber nicht nur wegen ihrer zunehmenden gesundheitlichen Bedürfnisse eine spezifische Unterstützung, die in verschiedenen Lebensbereichen strukturell verankert werden muss. Obwohl dies im Alltag gesellschaftlich und politisch anerkannt ist, finden sich im spezifischen Bereich des Strafvollzugs bzw. in den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer in Deutschland keine besonderen Regelungen für den Vollzug von Freiheitsstrafen an älteren Gefangenen. Die Justizvollzugsanstalten sind traditionell auf die Unterbringung jüngerer Männer ausgerichtet. Sie werden in großen Einheiten oft mit mehreren hundert Gefangenen vollzogen, deren Anstaltsalltag im Wesentlichen durch Arbeit strukturiert ist. Ältere Gefangene stoßen in diesem System auf vielfältige Barrieren.

Bevor wir uns jedoch den Barrieren zuwenden, müssen wir feststellen, dass die Gruppe der älteren Strafgefangenen keine homogene Gruppe ist. Nicht alle sind hilfebedürftig und auf Unterstützung seitens der Haftanstalten angewiesen. Auch unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit der Strafjustiz (Wilde & Krickmeyer, 2023, S. 289 f.): Zum einen handelt es sich um Personen, die aufgrund schwerer Delikte lange Zeit im Strafvollzug verbracht haben. Diese haben zum Teil mehr Jahre in Haft verbracht als in Freiheit. Hier kennen sie sich aus und haben dagegen große Schwierigkeiten, sich nach der Entlassung zurechtzufinden (Hagos et al., 2022). Eine ganz andere Personengruppe verbüßt im höheren Alter erstmals eine Freiheitsstrafe. Für sie bricht mit der Verhaftung, dem Strafprozess und der Haft oft eine Welt zusammen. Sie erleben einen Inhaftierungsschock, der lange nachwirkt. Eine dritte Gruppe besteht aus Personen, die vor allem wegen wiederholter und meist kleinerer Delikte inhaftiert werden, wie z.B. Ladendiebstahl oder Fahren ohne Fahrschein. Gerade bei Geldstrafen ergeben sich für viele durch eine Zahlungsunfähigkeit und desolate Lebensverhältnisse schwerwiegende Probleme (Bögelein, 2023, S. 263 f.). Sie werden direkt ‚von der Straße weg‘ zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert. Auch wenn sie dort Zugang zu medizinischer Versorgung, ausreichender Ernährung und Unterkunft haben, werden sie nach den relativ kurzen Haftstrafen in ähnliche oder noch prekärer gewordene Verhältnisse entlassen.

Dieser kurze Abriss der Lebenslagen von älteren Inhaftierten, die auf ein System treffen, das kaum auf deren Bedarfe ausgerichtet ist, reduziert die Möglichkeiten für die Betroffenen auf Anerkennung, Interesse und Resonanz zu stoßen, was als Grundvoraussetzung für ein Altern in Würde verstanden werden kann (vgl. Lob-Hüdepohl, 2023).

Beispiele für Barrieren im Strafvollzug

Der gängige Vollzugsalltag ist im Wesentlichen durch Arbeit, Schule oder Ausbildung strukturiert. Viele ältere Gefangene arbeiten auch nach der Pensionierung weiter, sofern sie gesundheitlich dazu in der Lage sind. Denn Arbeit bedeutet Einkommen, Beschäftigung, soziale Kontakte und im Idealfall Anerkennung, Selbstwirksamkeit und Abwechslung. Ältere Gefangene müssen in Deutschland mit Erreichen des Rentenalters nicht mehr arbeiten.2 Auch wenn es in einzelnen Anstalten begrüßenswerte Entwicklungen gibt (Ghanem & Kenkmann, 2023b, S. 28 ff.), fehlen in den meisten Fällen alternative Angebote zur Arbeit. Von der morgendlichen Lebendkontrolle bis zum Beginn der Freistunde und eventuellen Freizeitaktivitäten am Nachmittag finden in der Regel außer den Mahlzeiten keine tagesstrukturierenden Angebote statt. Dies verdeutlicht einerseits, dass Rentner:innen strukturell nicht vorgesehen sind. Andererseits kann damit auch die problematische Botschaft kommuniziert werden, dass von ihnen auch nichts mehr erwartet wird (vgl. Ghanem & Kenkmann, 2023b).

Ein weiteres Beispiel aus Deutschland: Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, pflegebedürftig zu werden. Rund 80% der Menschen, die Pflegeleistungen in Anspruch nehmen, sind 65 Jahre oder älter (Statistisches Bundesamt, 2022). Der Hilfebedarf kann schon im Kleinen beginnen, wenn z.B. das Bücken schwerer fällt und das Anziehen von Strümpfen oder Schuhen nicht mehr allein bewältigt werden kann. Die hierfür notwendigen Unterstützungen sind strukturell nicht vorgesehen. In den Strafvollzugsgesetzen in Deutschland gibt es den Begriff der Pflege nicht. Die Gefangenen haben Anspruch auf Krankenbehandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (z.B. § 70 Abs. 1 StVollzG Bln). Diese wird durch die Heilfürsorge gewährleistet. Für die soziale Pflegeversicherung, die getrennt von der Krankenversicherung im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) geregelt ist, gibt es keine entsprechende Regelung. Es gibt auch keine Berufsgruppe im Strafvollzug, zu deren Aufgabenprofil diese Tätigkeiten dezidiert gehören, so dass eine Versorgungslücke besteht. Der medizinische Dienst leistet seine Arbeit ähnlich einer Hausarztpraxis und übernimmt auch überwiegend die Behandlungspflege. Darunter versteht man das Verabreichen von Medikamenten, das Messen von Blutdruck und Blutzucker, die Wundversorgung bis hin zur Katheterpflege. Aber wer hilft bei der so genannten Alltagspflege (Grundpflege) – beim Ankleiden, Waschen, Essen, bei der Reinigung des Haftraumes oder bei der Mobilität und Orientierung im Gefängnis? Weder der medizinische noch der allgemeine Vollzugsdienst ist hierfür zuständig. Auch wenn sich vor Ort individuelle Praktiken herausbilden, um diese Bedarfe im Rahmen von Einzelfalllösungen zumindest teilweise zu decken (Wilde & Krickmeyer, 2023, S. 302) und manche Abteilungen insbesondere im Rahmen der Sicherungsverwahrung Pflegepersonal eingestellt haben (Leuschner & Rausch, 2023, S. 449), ist dies weder die Regel noch institutionalisiert.

Dementsprechend kann festgehalten werden, dass eine adäquate Pflege und Unterstützung der älteren Menschen nicht gesichert ist. Hilfen werden von anderen Gefangenen übernommen oder es erfolgt eine Verlegung in eine Krankenabteilung oder ein Justizvollzugskrankenhaus. Wie in jedem anderen Krankenhaus auch, sind diese Einrichtungen aber nur für eine akute, vorübergehende Versorgung und Behandlung ausgelegt und keine Pflegeeinrichtungen. In Berlin bedeutet dies beispielsweise 23 Stunden Einschluss, kein Kontakt zu anderen Gefangenen, eingeschränkte Besuchsmöglichkeiten und im Vergleich zum offenen Vollzug kein Telefon. Das soziale Leben wird drastisch eingeschränkt und führt bei vielen dazu, dass sie ihr Zimmer oder Bett nicht mehr verlassen. Dies ist das Gegenteil von dem, was die Gefangenen im Sinne einer aktivierenden Pflege eigentlich benötigen.

Es fehlt also in den Einrichtungen eine Profession, die Verantwortung und Kompetenz für diese notwendigen pflegerischen Leistungen am Menschen hat. Dazu gehört auch die Feststellung des entsprechenden Bedarfs in Form einer anerkannten Begutachtung der Pflegegrade.3

Sterben im Vollzug

Wenn der Aufenthalt im Strafvollzug tatsächlich das Lebensende einschließt, dann gehört auch das Sterben dazu. Während in Deutschland sterbende Personen überwiegend entlassen werden, d.h. kurz vor dem Lebensende eine Entlassung in die öffentliche Gesundheitsversorgung (Krankenhaus, Pflegeheim, Hospiz) erfolgt, wird in der Schweiz auch über «vorhersehbare Todesfälle» (Richter et al., 2023, S. 209) diskutiert, bei denen sich das Lebensende innerhalb der Haftanstalt durch Krankheit, altersbedingte Gebrechen und zunehmende Multimorbidität ankündigt. Das System stößt hier in mehrfacher Hinsicht an Grenzen. Das betrifft die Langsamkeit des Systems, die den zum Teil akuten Krankheitsverläufen nicht gerecht wird. Das gilt auch für die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Personen, die die Anstalten vor Herausforderungen stellen. Beispielsweise ergibt sich zunehmend ein Bedarf an Hospiz- und Palliativpflege, auf die in aller Regel von den Betroffenen nicht zurückgegriffen werden kann. Auch wenn in einzelnen Anstalten eine zunehmende Orientierung an Palliativpflege zu beobachten ist (z.B. Landtag Nordrhein-Westfalen 2025) und ambulante Hospizdienste einbezogen werden, geschieht auch diese überwiegend in Krankenstationen und nicht im gewohnten Umfeld der Betroffenen. Zudem zeigt sich in einer aktuellen Studie von Fleckinger und Schmidt-Semisch (2025), dass Hospizbegleiter:innen nicht nur als Unterstützung, sondern auch als Störung des Vollzugsalltags verstanden werden. Diese Erkenntnis reiht sich ein in die Forderung von Hostettler, Marti und Richter (2016) «dass die Vollzugslogik am Lebensende ausgeblendet und der sterbende Mensch mit seinen Bedürfnissen ins Zentrum aller Bemühungen gestellt» werden sollte und dass gerade die Sicherheitsmaßnahmen «aus der Perspektive des sterbenden Menschen und nicht primär aus der Perspektive des Strafvollzugs» konzipiert werden sollten (S. 133).

Perspektive «Lebensälterenabteilung»?

Die bisher zusammengefassten und weit nicht abschließenden Befunde sind nicht neu. Wenn Probleme auftreten, werden Lösungen gesucht und gefunden – oder auch nicht. Fest steht, dass die Herausforderungen nicht mit Einzelmaßnahmen bewältigt werden können. Es braucht ein integriertes Gesamtkonzept, das nicht nur an der Förderung der biopsychosozialen Gesundheit ansetzt, sondern auch an baulichen Gegebenheiten und den rechtlichen Rahmenbedingungen. Um eine ganzheitliche und möglichst passgenaue Behandlung im Vollzug zu gewährleisten, entstehen vermehrt sogenannte Lebensälterenabteilungen (Ghanem & Kenkmann, 2023a, S. 28), in denen altersspezifische Maßnahmen bereitgehalten werden. So wurden insbesondere in Nordrhein-Westfalen spezielle Stationen für ältere Gefangene im geschlossenen und offenen Vollzug eingerichtet (z.B. Höltekemeyer-Schwick & Seidler, 2022), wobei oft darauf geachtet wird, die Gefangenen nicht gänzlich zu isolieren, sondern beispielsweise im Rahmen des Hofgangs oder der Freizeitangebote Kontakte mit jüngeren Gefangenen zu ermöglichen.

Die Vorteile solcher zentralen Einrichtungen sind schnell erkennbar. Die Tagesabläufe werden flexibler. Die Aufschlusszeiten werden verlängert. Der Hofgang ist teilweise ganztägig möglich. Es gibt spezielle Angebote für den Personenkreis, der nicht arbeitet. So wird gemeinsam gekocht, gespielt, diskutiert etc. Eine persönliche Ansprache und Motivation sind leichter möglich. Gleichzeitig ist ein zeitweiliger Rückzug in die Zelle möglich, wenn dies gewünscht wird. Die Lärm- und Stressbelastung ist an diesen Orten geringer als im regulären Vollzug. Auch Einrichtungsgegenstände wie Aquarien, Pflanzen etc., die im Regelvollzug aus Gründen der Sicherheit und Ordnung teilweise verboten sind (z.B. mögliche Drogenverstecke), sind zugelassen. Diese Stationen können bedarfsgerechter ausgestattet werden und spezifische Angebote wie z.B. Ergotherapie können leichter angeboten werden. Auch das Personal kann gezielt geschult und sensibilisiert werden. Gleichzeitig kann durch die gemeinsame Nutzung von Arbeits- und Freizeitangeboten auch der Gefahr einer zu starken Separierung entgegengewirkt werden. Auch wenn mit solchen Einrichtungen auch Probleme einhergehen (z.B. erhöhte Schwelle für eine Haftuntauglichkeitsbescheinigung, Stigmatisierung) und Haftanstalten sicherlich kein guter Ort für ein würdiges Altern und Sterben bleiben, stellen sie für die allermeisten Betroffenen einen zumindest besseren Ort dar, um den Alltag zu bewältigen und altersspezifischen Bedürfnissen ihren Raum zu geben (Ghanem et al., 2023, S. 372).

Politische Zielsetzungen

Die Zahl der älteren Gefangenen nimmt weiter zu. Damit steigen die Anforderungen an die Vollzugseinrichtungen, dieser Gruppe gerecht zu werden. Dazu bedarf es mehr als guter Lösungen im Einzelfall. Vielmehr bedarf es politischer Zielsetzungen, die eine Förderung dieser Gruppe auch im Strafvollzug zur Folge haben. Als allgemeines Vollzugsziel ist formuliert «die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen» (§ 2 StVollzG Bln). Dieses Vollzugsziel gilt für alle Gefangenen, also auch für die zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten. Der Gegensteuerungs- und der Äquivalenzgrundsatz verweisen auf die besondere Fürsorgepflicht des Staates, der Menschen auf der einen Seite die Freiheit entzieht und auf der anderen Seite Sorge zu tragen hat, dass deren Versorgung sichergestellt ist.

Diese Verpflichtungen sind besonders hervorzuheben, wenn es sich um vulnerable Zielgruppen handelt. Bei der Gruppe der Hochbetagten kommt erschwerend hinzu, dass es sich zum Teil um Fähigkeiten und Fertigkeiten handelt, die ohne Förderung dauerhaft verloren gehen können. Aus diesem Grund ist es notwendig, den besonderen Status älterer Gefangener in den Strafvollzugsgesetzen zu verankern und einen Auftrag an die Justizvollzugsanstalten für diesen Personenkreis zu formulieren (Wilde & Krickmeyer, 2023, S. 305 f.).

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend formuliert als zentrales Ziel der Senior:innenpolitik, Menschen dabei zu unterstützen, «auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben zu führen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben» (SenIAS Berlin, 2021, S. 5). Entsprechende Leitlinien sollten auch in den Strafvollzugsgesetzen der Länder verankert und in Verwaltungsvorschriften konkretisiert werden. Unter der Überschrift «Förderung von Selbstbestimmung und Teilhabe im Alter» könnte in den Gesetzen und Verordnungen ein Bündel von Maßnahmen formuliert werden, mit dem Ziel, z.B. alternative Tagesstrukturen zu schaffen, angemessene medizinische und pflegerische Leistungen bereitzustellen, aber auch sozialrechtliche Benachteiligungen abzubauen. Denn ältere Menschen sollen flächendeckend bedarfsgerecht untergebracht werden. Die Aufnahme altersspezifischer Leitlinien in den Gesetzestext und die Schaffung von Verwaltungsvorschriften sowie die Entwicklung von Qualitätsstandards zum Umgang mit hochbetagten Gefangenen bedeuten nicht automatisch einen besseren Vollzug. Sie erleichtern aber die Umsetzung und Finanzierung von strukturellen Maßnahmen und spezifischen Angeboten (Meuschke, 2022, S. 273), auch weil sich Betroffene, Mitarbeitende und Initiativen darauf berufen können.

Für diese Art evidenzbasierter Kriminalpolitik sind zweierlei Aspekte von Bedeutung: Einerseits müssen die Lebenswelten älterer Inhaftierter und deren Bedürfnisse durch systematische Beobachtung sichtbar gemacht werden. Andererseits müssen Repräsentant:innen der Wissenschaft ihre Sprecher:innenposition nutzen, um advokatorisch für diese exkludierte und mit wenig Gestaltungsmacht ausgestattete Zielgruppe einzutreten sowie auf die eklatanten Mangellagen hinzuweisen und den Bedürfnissen der eingesperrten Menschen Gehör zu verschaffen. Beides hat Ueli Hostettler im Rahmen seiner Forschung mit der Prison Research Group in beeindruckender Weise umgesetzt. Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern haben sie wertvolle Impulse gegeben und notwendige Veränderungen angeregt.

Literatur

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Anmerkungen

1 Eigene Berechnungen nach Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 3, verschiedene Jahrgänge. ↩︎
2 Die Arbeitspflicht wird in Deutschland zunehmend abgeschafft - anders in der Schweiz: dort gilt Arbeitspflicht auch im Rentenalter; vgl. Urteil des Bundesgerichts Urteil 6B_182/2013 vom 18. Juli 2013. ↩︎
3 In Deutschland erfolgt eine Begutachtung des Grads des Pflegebedarfs durch die Krankenkassen. Der Pflegegrad gibt dann Auskunft über die Bedürftigkeit und ist Grundlage für den Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. ↩︎